Der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo muss enden

Der siebenundzwanzigste Newsletter (2024)

Jardy Ndombasi (DR Kongo), Soulèvement populaire et souveraineté, 2024.

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Am 20. Juni hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UNSC) die Angriffe auf die Zivilbevölkerung in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) «auf das Schärfste» verurteilt. In seiner Presseerklärung schrieb der UN-Sicherheitsrat, dass diese Angriffe – sowohl von den Streitkräften der Demokratischen Republik Kongo als auch von verschiedenen Rebellengruppen, die von Nachbarländern wie Ruanda und Uganda unterstützt werden – «die volatile Sicherheitssituation und Stabilität in der Demokratischen Republik Kongo und in der Region verschlechtern und die derzeitige humanitäre Lage weiter verschärfen». Fünf Tage später, am 25. Juni, zog sich die Friedenstruppe der Vereinten Nationen im Osten der DR Kongo gemäß einer Resolution des UN-Sicherheitsrats vom Dezember 2023 zurück, in der sie sich verpflichtet hatte, die allgemeinen Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo am 20. Dezember zu sichern und den schrittweisen Abzug der Friedenstruppe aus dem Land einzuleiten.

In der Zwischenzeit dringen die von Ruanda unterstützten M23-Rebellen immer weiter in die östlichen Provinzen der DR Kongo vor, wo seit dem ruandischen Völkermord 1994 ein aktiver Konflikt herrscht. Im Laufe von drei Jahrzehnten ist es trotz mehrerer Friedensabkommen (insbesondere des Abkommens von Lusaka 1999, des Abkommens von Pretoria 2002, des Abkommens von Luanda 2002 und des Abkommens von Sun City 2003) nur selten zu einem dauerhaften Frieden gekommen. Über die Gesamtzahl der Todesopfer gibt es nur sehr wenige Angaben, aber vermutlich wurden über sechs Millionen Menschen getötet. Die hartnäckige Gewalt im Osten der DR Kongo hat zu der Hoffnungslosigkeit geführt, das Gemetzel dauerhaft zu beenden. Hinzu kommt die Unkenntnis der politischen Hintergründe dieses Konflikts und seiner tiefen Wurzeln sowohl in der Kolonialgeschichte der Region der Großen Seen als auch im Kampf um Rohstoffe, die für das elektronische Zeitalter von zentraler Bedeutung sind.

Monsembula Nzaaba Richard oder «Monzari» (DR Kongo), L’Aube de la résistance Congolaise, 2024

Um diesen Konflikt zu verstehen, hat Tricontinental: Institute for Social Research in Zusammenarbeit mit dem Centre Culturel Andrée Blouin, dem Centre for Research on the Congo-Kinshasa (CERECK) und Likambo Ya Mabele («Bewegung für Landsouveränität») ein aussagekräftiges neues Dossier mit dem Titel The Congolese Fight For Their Own Wealth («Der kongolesische Kampf für ihren eigenen Reichtum») erstellt. Vor acht Jahren stellten wir ein Team zusammen, um den andauernden Krieg zu untersuchen, wobei wir den Schwerpunkt auf den Imperialismus und den Diebstahl von Ressourcen legten, der diesen Teil Afrikas seit einem Jahrhundert plagt. Die Kolonialisierung des Kongo ging einher mit dem Diebstahl der Arbeitskräfte, des Kautschuks, des Elfenbeins und der Mineralien der Region in den 1800er Jahren unter der Herrschaft des belgischen Königs Leopold II. Multinationale Konzerne setzen dieses kriminelle Erbe heute fort, indem sie Mineralien und Metalle stehlen, die für die wachsende digitale und «grüne» Wirtschaft unerlässlich sind. Dieser Ressourcenreichtum ist es, der den Krieg in das Land zieht. Wie wir in diesem Dossier zeigen, ist die Demokratische Republik Kongo eines der reichsten Länder der Welt, dessen unerschlossene Mineralienreserven allein 24 Billionen US-Dollar wert sind. Gleichzeitig leben jedoch 74,6 % der Bevölkerung von weniger als 2,15 Dollar pro Tag, wobei jede*r sechste Kongoles*in in extremer Armut lebt. Wie kommt es zu dieser Armut in einem Land mit so viel Reichtum?

Auf der Grundlage von Archivrecherchen und Interviews mit Bergleuten zeigt das Dossier, dass das Kernproblem darin besteht, dass die Kongoles*innen keine Kontrolle über ihren Reichtum haben. Sie kämpfen nicht erst seit der Gründung des Mouvement National Congolais («Kongolesische Nationalbewegung») im Jahr 1958, das die Befreiung von Belgien und die Kontrolle über die umfangreichen Bodenschätze des Kongo anstrebte, sondern schon früher, durch den Widerstand der Arbeiterklasse zwischen den 1930er und 1950er Jahren, gegen den zügellosen Diebstahl. Dieser Kampf war weder einfach noch erfolgreich: In der DR Kongo herrschen nach wie vor Ausbeutung und Unterdrückung durch eine mächtige kongolesische Oligarchie und multinationale Konzerne, die mit deren Erlaubnis operieren. Darüber hinaus leidet das Land einerseits unter den Angriffskriegen seiner Nachbarn Ruanda und Uganda, die von stellvertretenden Milizen unterstützt werden, und andererseits unter der Einmischung multilateraler Institutionen wie der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF), die eine neoliberale Politik als Voraussetzung für die Gewährung von Darlehen durchsetzen.
Nur wenige Tage vor den Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo im Dezember 2023 zahlte der IWF 202,1 Mio. USD aus, weil er sich sicher war, dass der Wahlsieger «die Programmziele, einschließlich der Begrenzung der makroökonomischen Abweichungen und der weiteren Umsetzung der Wirtschaftsreformagenda», einhalten würde. Mit anderen Worten, der IWF glaubte, dass er die Privatisierung der Elektrizität und die Ausarbeitung von Bergbaugesetzen, die für multinationale Unternehmen übermäßig «großzügig» waren, ungeachtet des Wahlergebnisses fortsetzen könne (das Wort «großzügig» stammt vom Leiter der IWF-Mission in der DR Kongo, Norbert Toé). Ein Almosen des IWF bewirkte, den Ruf nach Souveränität über die beträchtlichen Ressourcen der DR Kongo zu dämpfen.

M Kadima (DR Kongo), Congo Is Not for Sale, 2024. Referenzfoto von John Behets.

Die Region der Großen Seen in Afrika ist an mehreren Fronten daran gehindert worden, die Probleme zu lösen, die sie plagen: Verankerte neokoloniale Strukturen haben den Aufbau einer gut finanzierten sozialen Infrastruktur verhindert; die außerordentliche Macht der Bergbauunternehmen, die bis vor kurzem größtenteils aus Australien, Europa und Nordamerika stammten, haben die Bemühungen um die Souveränität über die Ressourcen zunichte gemacht; die imperialen Mächte haben ihr Geld und ihre militärische Macht eingesetzt, um die lokalen herrschenden Klassen ausländischen Interessen unterzuordnen; die Schwäche dieser lokalen herrschenden Klassen und ihre Unfähigkeit, ein starkes patriotisches Projekt zu schmieden, wie es Louis Rwagasore in Burundi und Patrice Lumumba (beide 1961 von den imperialen Mächten ermordet) in der Demokratischen Republik Kongo  versuchten, hat den regionalen Fortschritt behindert; es bedarf dingend eines Projekts, das die Menschen auf der Grundlage gemeinsamer Interessen der Mehrheit zusammenführt, anstatt ethnischen Spaltungen (allein in der DR Kongo gibt es vierhundert verschiedene ethnische Gruppen) und Stammesdenken zum Opfer zu fallen, die die Gemeinschaften auseinanderreißen und ihre Fähigkeit, für ihr Schicksal zu kämpfen, schwächen.

Ein solches Projekt gedieh nach der Unabhängigkeit der DR Kongo im Jahr 1960. Im Jahr 1966 erließ die Regierung ein Gesetz zur Kontrolle des unbesiedelten Landes und der dazugehörigen Bodenschätze. 1973 erlaubte das Allgemeine Eigentumsgesetz der DR Kongo Regierungsbeamten, Land nach Belieben zu enteignen. Die Schaffung eines Projekts, das die materiellen Ressourcen zum Wohle aller Völker nutzt, anstatt ethnische Spaltungen zu schüren, muss wieder in den Mittelpunkt rücken. Die Idee der Staatsbürgerschaft in der Region ist jedoch nach wie vor mit Vorstellungen von ethnischer Zugehörigkeit verwoben, die Konflikte entlang ethnischer Linien provoziert haben. Es waren diese Ideen, die 1994 zum Völkermord in Ruanda führten. Das Fehlen eines gemeinsamen Projekts hat es den Feinden der Massen  ermöglicht, sich durch die Risse zu schleichen und die Schwächen der Volksgruppen auszunutzen.

Monsembula Nzaaba Richard oder «Monzari» (DR Kongo), Aurore Africaine, 2024.

Ein Gewirr politischer und militärischer Fronten – wie die ADFL, die FDLR, die RCD und die MLC – katapultierte die Region in Rohstoffkriege. Coltan-, Kupfer- und Goldvorkommen sowie die Kontrolle über die Grenzstraßen zwischen der DR Kongo und Uganda, die die östliche DR Kongo mit dem kenianischen Hafen Mombasa verbinden, machten diese bewaffneten Gruppen und einige wenige Mächtige sehr reich. Im Krieg ging es nicht mehr nur um den postkolonialen Konsens, sondern auch um den Reichtum, der abgeschöpft werden konnte, um eine internationale Kapitalistenklasse zu begünstigen, die weit weg von den Großen Seen in Afrika lebt.

Bezeichnenderweise wurde die Frage der Arbeitnehmerrechte in der Demokratischen Republik Kongo für die «internationale Gemeinschaft» erst dann zu einem großen Anliegen, als das chinesische Kapital begann, den in Australien, Europa und Nordamerika ansässigen Unternehmen Konkurrenz zu machen. Menschenrechtsorganisationen, die zuvor die Augen vor der Ausbeutung verschlossen hatten, begannen sich für diese Fragen zu interessieren und prägten neue Begriffe wie «Blut-Coltan» und «Blut-Gold» für  die Rohstoffe, die von den chinesischen und russischen Unternehmen abgebaut werden, welche sich in mehreren afrikanischen Ländern niedergelassen haben. Wie unser Dossier und das Wenhua ZonghengThemenheft China-Africa Relations in the Belt and Road Era jedoch zeigen, stehen die chinesische Politik und die chinesischen Interessen in starkem Kontrast zur IWF-gesteuerten Agenda für die DR Kongo, da China bestrebt ist, «die Mineral- und Metallverarbeitung in der Demokratischen Republik Kongo zu erhalten und eine industrielle Basis für das Land aufzubauen». Darüber hinaus stellen chinesische Unternehmen Waren her, die häufig für Verbraucher*innen des globalen Nordens bestimmt sind – eine Ironie, die in der westlichen Darstellung gerne übersehen wird. Die internationale Gemeinschaft gibt vor, sich mit Menschenrechtsverletzungen zu befassen, hat aber kein Interesse an den Hoffnungen und Bestrebungen der afrikanischen Bevölkerung; sie wird stattdessen von den Interessen des globalen Nordens und dem von den USA geführten Neuen Kalten Krieg angetrieben.

Junge, talentierte Künstler*innen haben wochenlang im Atelier an den Illustrationen gearbeitet, die im Dossier und in diesem Newsletter zu sehen sind. Sie sind das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen unserer Kunstabteilung und dem Künstlerkollektiv des Centre Culturel Andrée Blouin in Kinshasa. Bitte lest unser viertes Tricontinental Art Bulletin, um mehr über ihren kreativen Prozess zu erfahren, und schaut euch das von André Ndambi gedrehte Video Artists for Congolese Sovereignty an, das die Arbeit der Künstler*innen vorstellt.

Monsembula Nzaaba Richard oder «Monzari« (DR Kongo), Le peuple a gagné, 2024.
Referenzfoto: Congopresse via Wikimedia.

Unser Dossier endet mit den Worten der kongolesischen Jugend, die sich nach Heimat, nach einer patriotischen Kultur und nach kritischem Denken sehnt. Diese jungen Menschen wurden im Krieg geboren, sie sind im Krieg aufgewachsen und leben im Krieg. Und doch wissen sie, dass die Demokratische Republik Kongo über genügend Reichtum verfügt, um sich eine Welt ohne Krieg vorzustellen, eine Welt des Friedens und der sozialen Entwicklung, in der ethnische Spaltungen und unendliches Blutvergießen keinen Platz haben.

Herzlichst,
Vijay