Einen Friedensplaneten zu schaffen ist die einzige vernünftige Lösung

Der achtundzwanzigste Newsletter (2024)

Beatriz González (Kolumbien), Señor presidente, qué honor estar con usted en este momento histórico, 1987.

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Es gibt Zeiten im Leben, in denen man die Komplexität beiseite lassen und sich aufs Wesentliche besinnen möchte. Letzte Woche befand ich mich auf einem Boot in der Karibik auf dem Weg von der Isla Grande zum kolumbianischen Festland, als es heftig zu regnen begann. Unser Boot war zwar klein, aber mit Ever de la Rosa Morales am Steuer, einem Führer der afrokolumbianischen Gemeinschaft auf den siebenundzwanzig Rosario-Inseln (vor der Küste Cartagenas), war die Gefahr minimal. Dieses Wetter löste in mir eine Reihe von Emotionen aus, von Angst bis hin zu Begeisterung. Der Regen stand im Zusammenhang mit dem Hurrikan Beryl, einem Sturm, der Jamaika mit der hohen Kategorie 4 heimsuchte und sich dann mit gedämpfterer Heftigkeit auf Mexiko zubewegte.

Der haitianische Dichter Frankétienne besingt den «Dialekt der verrückten Wirbelstürme», die «Raserei der kollidierenden Winde» und die «Hysterie des tosenden Meeres». Das sind treffende Worte, um die Art und Weise zu beschreiben, wie wir die Macht der Natur erleben, eine Macht, die sich durch die Schäden, die der Kapitalismus ihr zufügt, verdoppelt hat. Der Fünfte Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen legt nahe, dass der Nordatlantik seit den 1970er Jahren mit ziemlicher Sicherheit stärkere und häufigere Wirbelstürme erlebt. Die Wissenschaftler sagen, dass die langfristigen Treibhausgasemissionen zu einer Erwärmung der Ozeane geführt haben, die mehr Feuchtigkeit und Energie aufnehmen und sowohl zu stärkeren Winden als auch zu mehr Regenfällen führen.

Auf der Isla Grande, wo früher Pirat*innen ihre Beute lagerten und wohin vor über fünfhundert Jahren Afrikaner*innen vor der Versklavung flohen, hielten die Bewohner*innen Anfang Juli eine Versammlung ab, um über die Notwendigkeit eines Elektrizitätswerks zu diskutieren, das den Inselbewohner*innen zugute käme. Die Versammlung ist Schritt in einem langen Kampf, der es ihnen schließlich ermöglichte, trotz des Versuchs der kolumbianischen Oligarchie, sie 1984 zu vertreiben, auf den Inseln zu bleiben, und es gelang ihnen, den reichen Besitzer des besten Landes auf der Isla Grande zu verjagen, wo sie in einer Initiative namens minga (gemeinschaftliche Solidarität) die Stadt Orika errichteten. Ihr gemeinschaftliches Aktionsgremium (Junta de Acción Comunal), das den Kampf zur Verteidigung ihres Landes anführte, heißt heute Gemeinschaftsrat der Rosario-Inseln (Consejo Comunitario de las Islas del Rosario). Ein Teil dieses Rates hielt die Versammlung ab, ein Beispiel für die ständige Minga.

Die Insel ist durch diesen Geist der Minga und durch die Mangroven, die den Lebensraum vor dem steigenden Wasser schützen, verbunden. Die versammelten Bewohner*innen wissen, dass sie ihre Stromkapazitäten ausbauen müssen, nicht nur um den Ökotourismus zu fördern, sondern auch für den Eigenbedarf. Aber wie können sie auf diesen kleinen Inseln Strom erzeugen?

Am Tag der Regenfälle besuchte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro die Stadt Sabanalarga (Atlántico), um den Colombia Solar Forest einzuweihen, einen Komplex aus fünf Solarparks mit einer Leistung von 100 Megawatt. Dieser Park soll 400.000 Kolumbianer*innen zugute kommen und die jährlichen CO2-Emissionen um 110.212 Tonnen senken, was 4,3 Millionen Autofahrten von Barranquilla nach Cartagena entspricht. Bei dieser Veranstaltung rief Petro die Bürgermeister*innen auf, in der kolumbianischen Karibik für jede Gemeinde einen Solarpark mit einer Leistung von zehn Megawatt zu bauen, die Strompreise zu senken, die Wirtschaft zu dekarbonisieren und eine nachhaltige Entwicklung zu fördern. Dies ist vielleicht die bisher konkreteste Lösung für die Inseln, deren Küsten durch das steigende Wasser erodiert werden.

Marisa Darasavath (Demokratische Volksrepublik Laos), Ölgemälde #7, 2013.

Als Petro in Sabanalarga sprach, dachte ich an seine Rede vor den Vereinten Nationen im vergangenen Jahr, in der er die Staats- und Regierungschefs der Welt aufforderte, die «Krise des Lebens» anzuerkennen und unsere Probleme gemeinsam zu lösen, anstatt «Zeit damit zu verschwenden, sich gegenseitig umzubringen». In dieser Rede beschrieb Petro lyrisch die Situation im Jahr 2070, also in sechsundvierzig Jahren. In diesem Jahr, so Petro, werden die üppigen Wälder Kolumbiens zu Wüsten werden und «die Menschen werden nach Norden ziehen, nicht mehr angezogen von den Pailletten des Reichtums, sondern von etwas Einfacherem und Lebenswichtigem: Wasser. Milliarden», sagte er, «werden den Armeen trotzen und die Erde verändern», wenn sie sich auf die Suche nach den verbleibenden Wasserquellen machen.
Eine solche Dystopie muss verhindert werden. Um dies zu erreichen, so Petro, müssen zumindest ausreichende Mittel für die siebzehn Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) bereitgestellt werden, die 2015 in einem Vertrag festgelegt wurden. Auch wenn der gesamte Prozess der Entwicklung dieser SDGs mit Problemen behaftet war, u. a. damit, wie sie Themen, die untrennbar miteinander verbunden sind (z. B. Armut und Wasser), voneinander trennen, bietet ihre Existenz und Akzeptanz durch die Regierungen der Welt wenigstens Gelegenheit, darauf zu bestehen, dass sie ernst genommen werden. Am 8. Juli eröffnete der Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen das Hochrangige Politische Forum für nachhaltige Entwicklung 2024, das zehn Tage lang dauern wird. Die Unterschied zwischen den zugesagten Mitteln für die Verwirklichung der SDGs und den tatsächlich für die Umsetzung des Programms in den Entwicklungsländern bereitgestellten Mitteln beläuft sich derzeit auf 4 Billionen US-Dollar pro Jahr (gegenüber 2,5 Billionen US-Dollar im Jahr 2019). Ohne ausreichende Finanzierung ist es unwahrscheinlich, dass dieses Forum sinnvolle Ergebnisse erzielen wird.

Abdelaziz Gorgi (Tunesien), Les Joueuses de Cartes, 1973.

Im Vorfeld des Forums haben die Vereinten Nationen den Bericht über die Ziele für nachhaltige Entwicklung 2024 veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass bei fast der Hälfte der siebzehn Ziele nur «minimale oder mäßige» Fortschritte erzielt wurden und bei mehr als einem Drittel der Ziele entweder ein Stillstand oder Rückschritte zu verzeichnen sind. Während das erste nachhaltige Entwicklungsziel die Beseitigung der Armut ist, stellt der Bericht beispielsweise fest, dass «die weltweite Rate der extremen Armut im Jahr 2020 zum ersten Mal seit Jahrzehnten gestiegen ist» und dass bis 2030 mindestens 590 Millionen Menschen in extremer Armut leben werden und weniger als eines von drei Ländern die nationale Armut halbieren wird. Ähnlich verhält es sich mit dem zweiten Ziel, der Beendigung des Hungers: Im Jahr 2022 war jeder zehnte Mensch von Hunger betroffen, 2,4 Milliarden Menschen waren mäßig oder stark ernährungsunsicher und 148 Millionen Kinder unter fünf Jahren litten unter Wachstumsstörungen. Diese beiden Ziele, die Beseitigung der Armut und die Beendigung des Hungers, sind vielleicht die Ziele, über die weltweit der größte Konsens besteht. Und doch sind wir weit davon entfernt, auch nur bescheidene Erfolge zu erzielen. Die Beendigung von Armut und Hunger würde auch dem fünften SDG, der Beendigung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, zugute kommen, da dadurch die zunehmende Belastung durch die Sorgearbeit verringert würde, die vor allem bei den Frauen liegt, die weitgehend die Last der Austeritätspolitik tragen.

Es gibt, wie Präsident Petro sagte, eine «Krise des Lebens». Wir scheinen den Tod über das Leben zu stellen. Jedes Jahr geben wir mehr und mehr für das globale Militär aus. Im Jahr 2022 werden sich diese Ausgaben auf 2,87 Billionen Dollar belaufen – fast so viel, wie zur Finanzierung aller siebzehn SDGs in einem Jahr benötigt wird. Es ist seltsam, wie die Befürworter*innen eines Planeten im Krieg behaupten, sie seien realistisch, während diejenigen, die einen Planeten des Friedens wollen, als Idealist*innen angesehen werden. In Wirklichkeit sind diejenigen, die einen Planeten des Krieges wollen, Ausrotter, während wir, die für einen Planeten des Friedens eintreten, die einzig möglichen Realist*innen sind. Die Realität verlangt, dass wir den Frieden über den Krieg stellen und unsere kostbaren Ressourcen vor allem für die Lösung unserer gemeinsamen Probleme – wie Klimawandel, Armut, Hunger und Analphabetismus – einsetzen.

Im September 2023, einen Monat vor Beginn des aktuellen völkermörderischen Angriffs auf Gaza, rief Petro die UNO auf, zwei Friedenskonferenzen zu veranstalten, eine für die Ukraine und eine für Palästina. Wenn in diesen beiden Krisenherden Frieden erreicht werde, so Petro, «würden sie uns lehren, in allen Regionen des Planeten Frieden zu schaffen». Dieser durchaus vernünftige Vorschlag wurde damals ignoriert und wird es auch heute noch. Das hat Petro jedoch nicht davon abgehalten, Anfang Juli ein großes lateinamerikanisches Konzert für den Frieden in Palästina zu organisieren.

Rosângela Rennó (Brasilien), aus der Serie Rio-Montevideo, 2016.

Es ist Wahnsinn, was wir tun. Allein die Einnahmen der fünf größten Waffenhändler (die alle in den Vereinigten Staaten ansässig sind) belaufen sich in 2022 auf 276 Billionen Dollar – eine Zahl, die der Menschheit eine ständige Mahnung sein sollte. Israel hat etwa 13.050 MK-84 Bomben auf Gaza abgeworfen, die eine Sprengkraft von 2.000 Pfund (900 kg) pro Bombe haben. Jede dieser Bomben kostet 16.000 Dollar, was bedeutet, dass die bereits abgeworfenen Bomben insgesamt über 200 Millionen Dollar gekostet haben. Es ist merkwürdig, dass genau die Regierungen, die Israel mit diesen Bomben beliefern und ihm politische Rückendeckung geben (einschließlich der USA), sich dann umdrehen und die UNO finanzieren, um während der Pause zwischen den Bombardierungen nicht explodierte Bomben aus dem Gazastreifen zu beseitigen. In der Zwischenzeit erreicht die Not- und Entwicklungshilfe für die besetzten palästinensischen Gebiete (zu denen auch der Gazastreifen gehört) nicht mehr als einen dreistelligen Millionenbetrag – und das in einem guten Jahr. Mehr für Waffen ausgegeben, weniger für das Leben – die Hässlichkeit unserer Gesellschaft muss überwunden werden.

Mohamed Sulaiman (Westsahara), Red Liberty, 2014.

Der junge Künstler Mohamed Sulaiman wuchs in Algerien auf, im Smara-Flüchtlingslager der vertriebenen Völker der Westsahara. Nach seinem Studium an der algerischen Universität Batna kehrte Sulaiman in das Lager zurück, um Kunst zu schaffen, die auf kalligrafischen Traditionen basiert und die mündlich überlieferten Geschichten des saharauischen Volkes sowie Gedichte zeitgenössischer arabischer Schriftsteller*innen verwendet. Im Jahr 2016 gründete Sulaiman das Motif Art Studio, das aus recycelten Materialien im Stil traditioneller Wüstenhäuser gebaut wurde. In seinem 2017 eröffneten Atelier hängt Sulaiman die Red Liberty mit einer Verszeile des ägyptischen Dichters Ahmad Shawqi (1868-1932) auf: «Die rote Freiheit hat eine Tür, an die jede blutbefleckte Hand klopft». Die Zeile stammt aus «The Plight of Damascus», einem Gedicht, das die Zerstörung von Damaskus durch die Franzosen im Jahr 1916 als Rache für den arabischen Aufstand zum Thema hat. Das Gedicht bringt nicht nur die Hässlichkeit des Krieges zum Ausdruck, sondern auch das Versprechen auf eine Zukunft:

Das Vaterland hat eine Hand, die bereits eine Gunst gewährt hat 
und der alle freien Menschen eine Pflicht schulden.

Die blutbefleckte Hand ist die Hand derer, die vor uns für den Aufbau einer besseren Welt gekämpft haben und von denen viele in diesem Kampf umgekommen sind. Ihnen und den künftigen Generationen sind wir etwas schuldig. Wir müssen diese «Krise des Lebens» in eine Chance verwandeln, «weit weg von der Apokalypse und den Zeiten der Auslöschung zu leben», wie Petro letztes Jahr sagte; «Inmitten des Sturms und der Dunkelheit von heute [erscheint] ein schöner Horizont, ein Horizont, der nach Hoffnung schmeckt».

Herzlichst,
Vijay