Unsere Revolutionen sind unentbehrlich für das Überleben und die Entwicklung der menschlichen Zivilisation

Der dreiundvierzigste Newsletter (2024)

Mereka Yang Terusir Dari Tanahnya («Die von ihrem Land Vertriebenen»), 1960.
Quelle: Amrus Natalsya, ein Mitglied der indonesischen revolutionären Kulturorganisation Lekra.

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Nächstes Jahr jährt sich zum siebzigsten Mal die Asiatisch-Afrikanische Konferenz, die 1955 in Bandung, Indonesien, stattfand und an der Regierungs- und Staatschefs aus neunundzwanzig afrikanischen und asiatischen Ländern teilnahmen. Der indonesische Präsident Sukarno (1901-1970), der die Freiheitsbewegung in Indonesien gegen den holländischen Kolonialismus angeführt hatte, eröffnete die Konferenz mit einer Rede mit dem Titel «Lasst ein neues Asien und ein neues Afrika entstehen», in der er beklagte, dass zwar der technische und wissenschaftliche Fortschritt der Menschheit voranschreite, die Weltpolitik aber in einem Zustand der Unordnung verharre. In den siebzig Jahren, die seither vergangen sind (was in etwa der durchschnittlichen Lebenserwartung der Weltbevölkerung entspricht), ist viel von dem, was man den Geist von Bandung nannte, verloren gegangen, aber auch viel gewonnen worden. Die Menschen müssen sich die immense Macht, die sie in ihren Händen halten, erst noch zunutze machen.

Das prometheische Feuer, das gegen die Völker Afrikas und Asiens in ihren antikolonialen Kämpfen und gegen die Menschen in Hiroshima und Nagasaki eingesetzt wurde, hatte Angst erzeugt. «Das Leben des Menschen», so Sukarno, «wird durch Angst zersetzt und bitter gemacht. Angst vor der Zukunft, Angst vor der Wasserstoffbombe, Angst vor Ideologien». Diese Angst, so warnte Sukarno, sei gefährlicher als Waffen, weil sie die Menschen dazu bringe, «töricht zu handeln, gedankenlos zu handeln, gefährlich zu handeln». Doch, so fuhr er fort, «wir dürfen uns nicht von diesen Ängsten leiten lassen, denn die Angst ist eine Säure, die die Handlungen der Menschen in seltsame Muster ätzt. Lasst euch von Hoffnungen und Entschlossenheit leiten, lasst euch von Idealen leiten, ja, lasst euch von Träumen leiten!»

I Made Djirna (Indonesien), Totem Totem, 2021.

Das Programm, die aus der Konferenz von Bandung hervorging, war eindeutig:

  1. Beendigung des Kolonialismus und Demokratisierung des internationalen politischen Systems, einschließlich der Vereinten Nationen.
  2. Abschaffung der neokolonialen Wirtschaftsstruktur, die die Abhängigkeit der ehemals kolonialisierten Welt gefördert hat.
  3. Überarbeitung der sozialen und kulturellen Systeme, die unselige Hierarchien – insbesondere Rassismus – förderten, und Aufbau einer Weltgesellschaft des gegenseitigen Verständnisses und der internationalen Solidarität.

Von den späten 1950er bis zu den frühen 1980er Jahren bestimmte der Bandung-Geist die Kämpfe der Dritte-Welt-Bewegung und brachte große Errungenschaften wie die Delegitimierung von Kolonialismus und Rassismus sowie den Versuch, eine neue internationale Wirtschaftsordnung aufzubauen. Doch im Strudel der Schuldenkrise der 1980er Jahre und mit dem darauffolgenden Zusammenbruch der UdSSR ging dieses Projekt unter. Dieser Zusammenbruch lässt sich auf die Internationale Konferenz für Zusammenarbeit und Entwicklung zurückführen, die im Oktober 1981 in Cancún, Mexiko, stattfand, um den Brandt-Bericht zu erörtern. Das Treffen führte zu keinen substantiellen Verpflichtungen und im August 1982 folgte die Zahlungseinstellung Mexikos für seine Auslandsschulden.

Im Jahr 2005, fünfzig Jahre nach der Bandung-Konferenz, trafen sich Vertreter*innen von neunundachtzig Ländern in Indonesien zum asiatisch-afrikanischen Gipfel von 2005, wo sie die Erklärung über die neue asiatisch-afrikanische strategische Partnerschaft abfassten, aber das Treffen erlangte weder große Aufmerksamkeit noch wurde es von der «internationalen Gemeinschaft» ernst genommen. Indonesien hatte gerade ein grauenhaftes Putschregime hinter sich gelassen, das das Land von 1965 bis 1998 regiert hatte, und taumelte dann ab 1998 auf den Klippen der neoliberalen Politik, einschließlich einer vertieften Beziehung zu den Vereinigten Staaten. Der indonesische Regierung, die die Konferenz 2005 ausrichtete, gehörten Kräfte an, die an dem blutigen Putsch von 1965 gegen Sukarno beteiligt gewesen waren. Es war keine gute Ausgangslage, um der ursprünglichen Konferenz gerecht zu werden oder eine neue Agenda für den Globalen Süden zu entwickeln. Zwei Jahre zuvor waren die Vereinigten Staaten in einen großen, völkerrechtswidrigen Krieg gegen den Irak eingetreten, nachdem sie bereits in Afghanistan einmarschiert waren, und es schien damals, dass die Unipolarität der USA auf unbestimmte Zeit unangefochten bleiben würde. Indonesien und die anderen Mächte des Globalen Südens waren nicht bereit, die Vereinigten Staaten herauszufordern. Deshalb war die auf dem Gipfel 2005 verkündete neue asiatisch-afrikanische strategische Partnerschaft nur ein hohles Echo der Grundsätze des ursprünglichen Bandung-Projekts, ohne große Neuerungen und daher ohne jeden Enthusiasmus.

Sowohl seit 1955 als auch seit 2005 hat sich viel verändert. Um den Charakter dieser Veränderungen zu verstehen, wenden wir uns an einen der wichtigsten linken Intellektuellen Chinas, Wang Hui, der selbst ein Kind der chinesischen Revolution von 1949 und des Bandung-Geistes ist. In unserem jüngsten Dossier The Twentieth Century, The Global South, and China’s Historical Position («Das zwanzigste Jahrhundert, der Globale Süden und die historische Position Chinas») reflektiert Wang Hui darüber, wie wichtig es ist, die Geschichte Chinas und des Globalen Südens aus ihrer eigenen Dynamik heraus zu lesen, und nicht in Relation zum Westen als Standardbezugspunkt. Einhundertsieben Jahre nach der Oktoberrevolution im Zarenreich, fünfundsiebzig Jahre nach der Chinesischen Revolution und fast siebzig Jahre nach Bandung, als China und andere große Staaten des Globalen Südens sich als Großmächte in der Welt positionierten, hilft uns Wang Huis Analyse, unter die Oberfläche der Ereignisse zu tauchen und eine tiefgreifende theoretische Erklärung für den Aufstieg Chinas und des Globalen Südens zu finden.

Drei Punkte aus Wang Huis theoretisch reichhaltigem Text sind für diese Diskussion über eine Welt, die nach einem neuen Bandung sucht, von besonderem Interesse:

Revolutionen an der Peripherie. Wang Hui schreibt, dass die moderne Welt aus zwei verschiedenen klassenorientierten Revolutionszyklen hervorgegangen ist. Der erste, der bürgerlich-liberale Revolutionszyklus, begann im Gefolge der Französischen Revolution von 1789, und der zweite, der proletarische, antikoloniale, sozialistische Revolutionszyklus, wurde durch die Chinesische Revolution von 1911 ausgelöst. Der zweite Zyklus, der mehr von der Pariser Kommune von 1871 als von der Französischen Revolution inspiriert war, fand in den Randgebieten, in den kolonisierten Gebieten und in den «Reichen des Hungers» statt (wie Pier Paolo Pasolini es 1964 in seinem Gedicht «L’uomo di Bandung» oder «Der Bandung-Mann» ausdrückte). In diesen «Hungerregionen» waren die Revolutionen Teil eines langen Prozesses, in dem es darum ging, das feudale Erbe zu besiegen, die Produktivkräfte aufzubauen und so schnell wie möglich eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen. In den Reichen mit vollen Bäuchen gab es indes keine Revolutionen.

Neue Konzepte für die Peripherie. Wang Hui untersucht die Wortwahl, mit der der chinesische Revolutionsprozess beschrieben wird, und stellt fest, dass einige Begriffe, die aus den Erfahrungen anderer Länder «entlehnt» sind (politische Geschichte Europas, Marxismus, Oktoberrevolution usw.), sich dennoch auf der Grundlage der historischen Entfaltung der eigenen Revolution in China entwickelten. Genau das ist auch bei anderen revolutionären Erfahrungen geschehen, sei es in Kuba oder in Vietnam. Selbst die entlehnten Begriffe werden nicht unverändert übernommen, sondern durchlaufen, wie Wang Hui feststellt, einen Akt der «politischen Verschiebung». Der chinesische revolutionäre Prozess hat Begriffe wie «Volkskrieg» und «Sowjet» übernommen, aber die tatsächliche Geschichte des chinesischen Volkskriegs und des Jiangxi-Sowjets (1931-1934) ist kein Spiegelbild der Ereignisse, die diese Begriffe ursprünglich beschrieben. Durch diese Erfahrungen, die in einer anderen kulturellen Welt und manchmal in einer anderen Zeit verwurzelt sind, können die Begriffe bereichert und umgestaltet werden.

Das post-metropolische Zeitalter. Wang Hui vertritt die Auffassung, dass wir uns nicht nur in einer postkolonialen, sondern auch in einer post-metropolischen Ära befinden. Dieser post-metropolische Zustand bezieht sich auf die Tatsache, dass die ehemaligen «Bauernnationen» nun langsam in den Mittelpunkt der weltweiten Entwicklung, des Wachstums und der Kultur rücken. China und der Globale Süden, so Wang Hui, sind «die epochalen Kräfte, die diesen Übergang vorangetrieben haben». Dennoch ist der Übergang unvollständig. Die Kontrolle des Westens über Finanzen, Ressourcen, Wissenschaft und Technologie ist schwächer geworden, nicht aber seine Kontrolle über Informationen und militärische Macht. Diese militärische Macht, eine geisterhafte Präsenz, bedroht die Welt mit Zerstörung, um den Einfluss und die Macht der Metropolen oder Kernländer aufrechtzuerhalten.

Dia al-Azzawi (Irak), Sabra and Shatila Massacre, 1982-83.

Die Reise zu einem neuen Bandung hat bereits begonnen, aber es wird Zeit brauchen, um zu keimen. Wenn wir die post-metropolische Welt richtig verstanden haben, werden wir eines Tages in der Lage sein, eine neue Entwicklungstheorie und einen neuen Ansatz für die internationalen Beziehungen zu schaffen. Waffen werden nicht mehr das erste Instrument sein, das zur Beilegung von Streitigkeiten eingesetzt wird.

Hawa Gamodi, eine libysche Dichterin und Herausgeberin einer Kinderzeitschrift, schrieb 2016 darüber, was Poesie an einem Ort des Gemetzels bewirken kann:

Die Welt ist ein Friedhof geworden
Aber die Sonne geht auf
Eine Brise streichelt die Wange eines Mädchens
Das Meer gibt sein Blau nicht auf
Die Schwalben erzählen mir von meiner Kindheit
Versteckt unter ihren Flügeln
Und irgendwo erwartet ein Junge einen Kuss von den Lippen seiner Geliebten

Dies sind wunderschöne Bilder von der anderen Seite der Verwüstung, Bilder, die von einer Dichterin in Worte gefasst wurden, die gesehen hat, wie die Bomben fielen und Gewehre auf Geister schossen, aber Kinder töteten. «Ich schreibe dir», fährt sie fort, «mein Widerstand gegen den Untergang / Ich male eine glorreiche Welt / Erhellt von einem Gedicht / Das sie erwartet».

In gewisser Weise ist das die beste Art, diese Newsletter (348 haben wir seit dem 1. März 2018 veröffentlicht) zu beschreiben: Widerstand gegen den Untergang.

Herzlichst,
Vijay