Der fünfundvierzigste Newsletter (2024)
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
In den letzten Wochen war ich auf Einladung von Gruppen wie Te Kuaka, Red Ant und der Communist Party of Australia in Aotearoa (Neuseeland) und Australien unterwegs. Beide Länder sind vom britischen Kolonialismus geprägt, der durch die gewaltsame Vertreibung der einheimischen Gemeinschaften und den Raub ihres Landes gekennzeichnet war. Bis heute, wo diese Länder Teil der von den USA geführten Militarisierung des Pazifiks sind, kämpfen die Ureinwohner*innen für die Verteidigung ihres Landes und ihrer Lebensweise.
Am 6. Februar 1840 wurde Te Tiriti o Waitangi (der Vertrag von Waitangi) von Vertretern der britischen Krone und der Māori-Gruppen von Aotearoa unterzeichnet. Der Vertrag (für den es in Australien nichts Vergleichbares gibt) besagte, dass er «die Māori aktiv bei der Nutzung ihres Landes, der Fischerei, der Wälder und anderer wertvoller Besitztümer schützen» und «sicherstellen würde, dass beide Vertragsparteien friedlich zusammenleben und Neuseeland partnerschaftlich entwickeln». Während meines Aufenthalts in Aotearoa erfuhr ich, dass die neue Regierungskoalition versucht, den Vertrag von Waitangi «neu auszulegen», um den Schutz für Māori-Familien zurückzufahren. Dazu gehört auch, dass Initiativen wie die Māori-Gesundheitsbehörde (Te Aka Whai Ora) und Programme zur Förderung des Gebrauchs der Māori-Sprache (Te Reo Maori) in öffentlichen Einrichtungen gekürzt werden. Der Kampf gegen diese Kürzungen hat nicht nur die Māori-Gemeinschaften aufgerüttelt, sondern auch große Teile der Bevölkerung, die nicht in einer Gesellschaft leben wollen, die gegen ihre Verträge verstößt. Als die australische Aborigine-Senatorin Lidia Thorpe im vergangenen Monat den Besuch des britischen Monarchen Charles im Parlament des Landes störte, brachte sie eine Stimmung zum Ausdruck, die sich über den gesamten Pazifik ausbreitet, und rief, als sie von den Sicherheitskräften hinausgezerrt wurde: «Ihr habt Völkermord an unserem Volk begangen. Gebt uns unser Land zurück! Gebt uns, was ihr uns gestohlen habt – unsere Knochen, unsere Schädel, unsere Babys, unser Volk. … Wir wollen einen Vertrag für dieses Land. … Du bist nicht mein König. Du bist nicht unser König».
Ob mit oder ohne Vertrag, sowohl Aotearoa als auch Australien haben auf den Inseln des Pazifiks eine Welle von Forderungen nach mehr Souveränität erlebt, die auf einem jahrhundertelangen Erbe aufbaut. Diese Welle der Souveränität hat nun begonnen, sich gegen die massive Präsenz des US-Militärs im Pazifischen Ozean zu wenden, das eine illusionäre Bedrohung durch China beschwört.
US-Luftwaffenminister Frank Kendall, der im September 2024 auf einem Kongress der Air & Space Forces Association über China und den Indopazifik sprach, vertrat diese Position sehr deutlich, als er sagte: «China ist keine zukünftige Bedrohung. China ist heute eine Bedrohung». Der Beweis dafür sei, so Kendall, dass China seine operativen Kapazitäten ausbaue, um die Vereinigten Staaten daran zu hindern, ihre Macht in die westliche Pazifikregion zu projizieren. Für Kendall besteht das Problem nicht darin, dass China eine Bedrohung für andere Länder in Ostasien und im Südpazifik darstellt, sondern dass es die USA daran hindert, eine führende Rolle in der Region und den umliegenden Gewässern zu spielen – einschließlich derjenigen, die sich unmittelbar außerhalb der chinesischen Hoheitsgrenzen befinden, wo die USA mit ihren Verbündeten gemeinsame Übungen zur «Freiheit der Schifffahrt» durchgeführt haben. «Ich sage nicht, dass ein Krieg im Pazifik unmittelbar bevorsteht oder unvermeidlich ist», so Kendall weiter. «Das ist er nicht. Aber ich sage, dass die Wahrscheinlichkeit zunimmt und weiter zunehmen wird».
1951, inmitten der Chinesischen Revolution (1949) und des US-Kriegs gegen Korea (1950-1953), half der ranghohe US-Außenpolitiker und spätere Außenminister John Foster Dulles bei der Formulierung mehrerer wichtiger Verträge, wie dem ANZUS-Vertrag (Australien, Neuseeland und Vereinigte Staaten) von 1951, der Australien und Neuseeland endgültig aus dem britischen Einflussbereich herauslöste und in die Kriegspläne der USA einbezog, und dem Friedensvertrag von San Francisco von 1951, der die formale US-Besetzung Japans beendete. Diese Abkommen – Teil der aggressiven Strategie der USA in der Region – gingen einher mit der Besetzung mehrerer Inselstaaten im Pazifik, auf denen die USA bereits militärische Einrichtungen, einschließlich Häfen und Flugplätze, errichtet hatten: Hawaii (seit 1898), Guam (seit 1898) und Samoa (seit 1900). Aus dieser Realität heraus, die von Japan bis nach Aotearoa reichte, entwickelte Dulles die «Inselkettenstrategie», eine so genannte Eindämmungsstrategie, die eine militärische Präsenz auf drei «Inselketten» vorsah, die sich von China aus nach außen erstreckten, um als aggressive Begrenzung zu wirken und zu verhindern, dass eine andere Macht als die USA den Pazifischen Ozean beherrschte.
Im Laufe der Zeit wurden diese drei Inselketten zu festen Hochburgen der Machtprojektion der Vereinigten Staaten, die etwa vierhundert Stützpunkte in der Region zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Kapazitäten von Alaska bis Südaustralien eingerichtet haben. Trotz der Unterzeichnung verschiedener Verträge zur Entmilitarisierung der Region (z. B. des South Pacific Nuclear Free Treaty, auch bekannt als Vertrag von Rarotonga im Jahr 1986) haben die USA tödliche militärische Mittel, einschließlich Atomwaffen, in die Region verlagert, um ihre Drohungen gegen China, Nordkorea, Russland und Vietnam (zu unterschiedlichen Zeiten und mit unterschiedlicher Intensität) zu unterstreichen. Zu dieser «Inselkettenstrategie» gehören auch Militäreinrichtungen in französischen kolonialen Außenposten wie Wallis und Futuna, Neukaledonien und Französisch-Polynesien. Die USA haben auch militärische Vereinbarungen mit den Föderierten Staaten von Mikronesien, den Marshallinseln und Palau getroffen.
Während einige dieser pazifischen Inselstaaten als Stützpunkte für die US-amerikanische und französische Machtprojektion gegen China genutzt werden, wurden andere als Atomtestgelände verwendet. Zwischen 1946 und 1958 führten die USA auf den Marshallinseln siebenundsechzig Atomtests durch. Bei einem davon, der im Bikini-Atoll durchgeführt wurde, wurde eine thermonukleare Waffe gezündet, die tausendmal stärker war als die Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Darlene Keju Johnson, die zum Zeitpunkt der Detonation auf dem Bikini-Atoll erst drei Jahre alt war und eine der ersten Frauen der Marshallinseln war, die öffentlich über die Atomtests auf den Inseln sprach, brachte die Stimmung der Inselbewohner*innen in einer ihrer Reden auf den Punkt: «Wir wollen nicht, dass unsere Inseln benutzt werden, um Menschen zu töten. Das Wichtigste ist, dass wir in Frieden leben wollen».
Trotz des Widerstands von Leuten wie Keju Johnson (die später Direktorin im Gesundheitsministerium der Marshallinseln wurde) haben die USA in den letzten fünfzehn Jahren ihre militärischen Aktivitäten im Pazifik ausgeweitet, indem sie sich beispielsweise weigerten, Stützpunkte zu schließen, neue eröffneten und andere ausbauten, um ihre militärische Kapazität zu erhöhen. In Australien beschloss die Regierung – ohne eine wirklich öffentliche Debatte -, den Ausbau der Start- und Landebahn der Vereinigten Staaten auf dem Luftwaffenstützpunkt Tindal in Darwin mitzufinanzieren, damit dort US-Bomber vom Typ B-52 und B-1 mit nuklearer Kapazität stationiert werden können. Außerdem beschloss sie, die U-Boot-Einrichtungen von Garden Island nach Rockingham zu erweitern und in Exmouth eine neue High-Tech-Radaranlage für die Weltraumkommunikation zu bauen. Diese Erweiterungen folgten auf die Partnerschaft Australien-Vereinigtes Königreich-Vereinigte Staaten (AUKUS) im Jahr 2021, die es den USA und dem Vereinigten Königreich ermöglicht, ihre Strategien vollständig zu koordinieren. Im Rahmen dieser Partnerschaft wurden auch die französischen Hersteller, die Australien bis dahin mit dieselbetriebenen U-Booten beliefert hatten, verdrängt und stattdessen atomgetriebene U-Boote aus dem Vereinigten Königreich und den USA gekauft. Letztendlich wird Australien seine eigenen U-Boote für die Missionen bereitstellen, die die USA und Großbritannien in den Gewässern um China durchführen.
In den letzten Jahren haben die USA auch versucht, Kanada, Frankreich und Deutschland durch das US Pacific Partnership Strategy for the Pacific Islands (2022) und das Partnership for the Blue Pacific (2022) in das US-Pazifik-Projekt einzubinden. Auf dem Gipfeltreffen zwischen Frankreich und Ozeanien im Jahr 2021 wurde ein neues Engagement im pazifischen Raum zugesagt, wonach Frankreich ihre militärischen Kapazitäten nach Neukaledonien und Französisch-Polynesien erweitern werden. Die USA und Frankreich haben auch einen Dialog über die Koordinierung ihrer militärischen Aktivitäten gegen China im Pazifik eröffnet.
Diese Partnerschaften sind jedoch nur ein Teil der amerikanischen Ambitionen in der Region. Die USA eröffnen auch neue Stützpunkte auf den nördlichen Inseln der Philippinen – die erste derartige Expansion in diesem Land seit Anfang der 90er Jahre – und steigern ihre Waffenverkäufe an Taiwan, dem sie tödliche Militärtechnologie zur Verfügung stellen (einschließlich Raketenabwehr- und Panzersysteme, die einen chinesischen Militärangriff verhindern sollen). In der Zwischenzeit haben die USA ihre Koordinierung mit dem japanischen Militär verbessert, indem sie beschlossen haben, ein gemeinsames Hauptquartier für die Streitkräfte einzurichten, was bedeutet, dass die Kommandostruktur für die US-Truppen in Japan und Südkorea autonom von der US-Kommandostruktur in diesen beiden asiatischen Ländern kontrolliert wird (und nicht durch Befehle aus Washington).
Das US-amerikanisch-europäische Kriegsprojekt verläuft jedoch nicht so reibungslos wie erhofft. Die Protestbewegungen auf den Salomonen (2021) und in Neukaledonien (2024), die von Gemeinschaften angeführt werden, die sich nicht länger dem Neokolonialismus zu unterwerfen bereit sind, haben die USA und ihre Verbündeten überrumpelt. Es wird ihnen nicht leicht fallen, ihre Inselkette im Pazifik aufzubauen.
Herzlichst,
Vijay