Der zweite Newsletter (2025)
Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Nur sehr wenige Menschen haben das Glück, in die Tiefen der Weltmeere abzutauchen. Der tiefste Ort dieser Art – 11 Kilometer unter dem Meeresspiegel an der tiefsten Stelle – ist der Marianengraben, der sich nördlich der 607 Inseln der Föderierten Staaten von Mikronesien im Pazifischen Ozean befindet (zum Vergleich: der Mount Everest liegt knapp neun Kilometer über dem Meeresspiegel). Dort unten, ab sechs Kilometern in der Tiefe, in der so genannten Hadal-Zone, gibt es kein Licht. Die Hadal-Zone ist nach Hades, dem griechischen Gott der Unterwelt, benannt. In Aischylos’ Stück Die Perser singt der Chor: «Hades, der alles aufnehmende Gott, nimmt alle in seinen Griff und lässt sie nicht mehr los». Die Tiefen werden mit Ehrfurcht behandelt, ihre Dunkelheit ist wie ein Tor zur feurigen Hölle des Hades.
Forscher*innen, die in verschiedenen U-Booten die tiefsten Stellen des Ozeans erforscht haben, berichten, dass es unter sechs Kilometern tatsächlich stockdunkel ist. Aber selbst in den tiefsten Gewässern wurden sie Zeuge von Lichtblitzen und sahen dann, dass Tiefseekreaturen ihr eigenes Licht (Biolumineszenz) aussenden, um Partner anzulocken oder nach Nahrung zu jagen, indem sie Luciferin (ein lichtemittierendes Molekül) und Luciferase (ein Enzym) produzieren, beide benannt nach dem lateinischen Wort für «Lichtbringer», die miteinander interagieren und Photonen erzeugen. Eine neue Studie zeigt nun, dass sechsundsiebzig Prozent dieser Tiefseekreaturen diese Fähigkeit besitzen. Einige sind so klein wie einzellige Algen, die für das menschliche Auge nicht sichtbar sind, während andere so groß sind wie der Riesenkalmar, der bis zu dreizehn Meter lang werden kann. In diesen großen Tiefen leben einzigartige Lebewesen, von denen sich viele nicht nur der Dunkelheit, sondern auch dem extremen Wasserdruck (16.000 Pfund pro Quadratzoll oder psi im Vergleich zu etwa 14,7 psi auf Meereshöhe) angepasst haben. Die Menschen, von ihrer Fremdartigkeit beeindruckt, haben ihnen fantastische Namen gegeben: Koboldhai, Dumbo-Oktopus, Vampirkalmar, Zombie-Würmer, halbnackter Beilfisch. Der Schlüssel zu ihrem Überleben liegt nicht nur in ihren fantastischen Augen und Mündern, sondern in dem Licht, das sie erzeugen, um die Dunkelheit zu bekämpfen.
Der Kampf ums Überleben bestimmt die Geschichte der Natur und des Menschen auf der Erde. Kein Tier und keine Pflanze erliegt den ungeheuerlichen Herausforderungen, die an sie gestellt werden. An den Stränden von Pohnpei, einem der Föderierten Staaten von Mikronesien, gibt es Blumen wie den wunderschönen orangefarbenen, rosafarbenen und roten Küsten-Hibiskus, die aus dem sandigen Boden herauswachsen und gedeihen, wenn das Salzwasser sie umspült. Im Jahr 2013 schrieb die pohnpeiische Dichterin Emelihter Kihleng das Gedicht «Tide», in dem diese Widerstandsfähigkeit zum Ausdruck kommt:
Die Flut, sie zieht an mir,
eine Erinnerung an die Dinge, die verloren sind
und an die Dinge, die zurückkehren.
Ich stehe am Ufer,
die Füße sinken in den Sand,
und frage mich, ob der Ozean sich an mich erinnert.
Pohnpei wurde im Zweiten Weltkrieg nicht bombardiert und blieb von den Atomtests verschont, die das Bikini-Atoll (23 US-Atomtests zwischen 1946 und 1958) und das Enewetak-Atoll (43 Atomtests zwischen 1948 und 1958) betrafen, die ungefähr 900 bzw. 600 Kilometer entfernt liegen.
1934 veröffentlichte Jean Cocteau das Stück La Machine infernale (Die Höllenmaschine). Darin sagt das Orakel von Delphi, das die Geschichte des Hades kennt, dem weisen Ödipus: «Die Unterwelt ist nur ein Spiegel der Oberwelt, in der wir dasselbe Gesicht, dieselben Schicksale und dieselben Schatten finden». Aber in Wirklichkeit hat sich das Orakel von Delphi geirrt. In der Tiefe, vor den Toren des Hades, erliegen die dort lebenden Kreaturen nicht ihrer Situation, sondern erzeugen – trotz der Realität, die Thomas Hobbes’ Motto Bellum omnium contra omnes («der Krieg aller gegen alle» oder «der Kampf ums Überleben») nannte – aus Gründen der Fortpflanzung oder Erhaltung ihr eigenes inneres Licht. Als ich von der Allgegenwart dieser biolumineszenten Tiere in den Tiefen des Ozeans las, dachte ich mehr an die metaphorischen als an die evolutionären Implikationen: Ist ihr Leuchten lediglich eine biochemische Reaktion oder kann es als Widerstandsfähigkeit verstanden werden?
Von Tricontinental: Institute for Social Research kommt das Dossier Nr. 83 (Dezember 2024), The False Concept of Populism and the Challenges facing the Left: A Conjunctural Analysis of Politics in the North Atlantic («Falsches Populismusverständnis und Herausforderungen für die Linke: Eine konjunkturelle Analyse der Politik im Nordatlantik»). Dieser Text wurde durch den Wahlsieg von Donald Trump in den Vereinigten Staaten angeregt, aber auch durch das Gefühl unter Teilen der alten Liberalen und der Sozialdemokrat*innen, dass dies – die Ankunft der extremen Rechten der besonderen Art – die Ursache für die Probleme der Menschheit sei. Nicht Trump allein hat uns die Gewohnheiten der Einschüchterung und Unterdrückung beschert, die die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten dem Globalen Süden auferlegen. Trump wurde 1946 geboren, ein Jahr nachdem die USA die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki eingesetzt hatten. Als er ein Kind war, überfielen die USA die koreanische Halbinsel (1945) und mischten sich in die Wahlen in Costa Rica (1948), Syrien (1949), Iran (1953) und Guatemala (1954) ein. Trump hat mit dem Abraham-Abkommen (2020) sicherlich die Bedingungen für die israelische Aggression in der Region festgelegt, aber er hat nicht die Befehle zur Lieferung gefährlicher Waffensysteme an Israel für dessen völkermörderischen Krieg unterzeichnet, und er ist auch nicht die einzige Kraft im Nordatlantik, die sich für die Verteidigung ihrer Finanziers einsetzt.
Trump ist ein Produkt des neoliberalen Paktes. Er ist Frankensteins Monster. Seine Behauptung, ein Selfmade-Milliardär zu sein, ist ebenso realistisch wie seine Behauptung, ein Selfmade-Politiker zu sein: In beiden Bereichen wurde er von Kräften angetrieben, die viel größer sind als er selbst. Als die Altliberalen und viele Sozialdemokrat*innen ihre Verpflichtungen gegenüber dem Wohlstand und dem Gemeinwohl über Bord warfen und sich dem Neoliberalismus hingaben, verloren sie bei großen Teilen der Wähler*innenschaft im Nordatlantik zunehmend an Popularität. Diese Altliberalen und einige Sozialdemokrat*innen nutzten den Staat, um riesige Teile des Überschusses abzuzweigen, um Milliardär*innen zu schaffen und sich dann von ihnen anstellen zu lassen. Als sie ihre Massenbasis verlor, suchte die herrschende Klasse frenetisch nach einem Weg, ihre Hegemonie bei den Wahlen aufrechtzuerhalten. Das bedeutete zunächst, die Möglichkeit einer Wiederbelebung des Wohlfahrtsstaates durch die linke Mitte zu zerstören (die Sabotage der Kampagne von Bernie Sanders und die Verschwörung gegen Jeremy Corbyn sind Beispiele dafür) und dann Kandidat*innen zu finden, die bereit waren, alles zu sagen, um eine neue Basis zu mobilisieren und zu disziplinieren (solange diese neuen Kandidat*innen, wie Trump, den starren Strukturen der Extraktion von Überschüssen aus der sozialen Arbeit der Vielen für die Bankkonten der Wenigen verpflichtet blieben). Da sie ihre Versprechen nicht einhalten können, werden Trump und andere Vertreter*innen der extremen Rechten der besonderen Art mit der Zeit bei ihrer Massenbasis in Ungnade fallen. Wenn dies geschieht, wird die herrschende Klasse, die Frankensteins des Kapitalismus, einen anderen Zauberer finden, der eine verwirrte Massenbasis blenden wird, während sie den Arbeiter*innen und Bäuer*innen der Welt weiterhin Brutalität zufügt.
Was wird Trumps Präsidentschaft für die Welt bedeuten, fragen liberale Kommentator*innen? Was hat der neoliberale Pakt für die Welt bedeutet? Wenn das «kleinere Übel» im neoliberalen Pakt – Biden in den Vereinigten Staaten, Starmer im Vereinigten Königreich, Macron in Frankreich, Scholz in Deutschland (und bis zum erbärmlichen Ende seiner politischen Karriere Trudeau in Kanada) – an einem andauernden Völkermord mitschuldig macht, gibt es wenig, was Trump tun könnte, um noch schlimmer zu sein. Da er und seine Kumpane geschworen haben, in Gaza «die Arbeit zu Ende zu bringen», bleibt vielleicht nur die Frage offen, ob er tatsächlich im Stil von Dr. Seltsam die Ausrottung der menschlichen Ethnie und die Vernichtung des Planeten betreiben wird. Aber selbst wenn es um die Zerstörung des Planeten geht, was haben die Megakonzerne des neoliberalen Pakts anderes getan, als einen Ökozid zu begehen und die Beweise für die Klimakatastrophe zu ignorieren? Diese neoliberalen Kräfte behaupten, Formen des Liberalismus wie die Redefreiheit zu unterstützen, aber tatsächlich sind es diese alten liberalen und ehemals sozialdemokratischen Kräfte in der atlantischen Welt, die im Namen der Terrorismusbekämpfung weitgehend unkontrollierte Befugnisse für die Agenten der Unterdrückung eingeführt haben und damit diese Befugnisse Kräften wie Trump zur Verfügung stellen, die instinktiv gegen die Rede- und Vereinigungsfreiheit sind. Die Altliberalen und ehemaligen Sozialdemokrat*innen werden sagen, dass sie wenigstens nicht patriarchalisch oder rassistisch sind, aber selbst hier ist ihre Bilanz miserabel: Die Abschiebungsrate in den USA ist unter liberalen Präsidenten genauso hoch, wenn nicht sogar höher als unter konservativen, und die Altliberalen und ehemaligen Sozialdemokrat*innen haben so gut wie nichts getan, um die Rechte der Frauen zu verteidigen, was eher ein Steckenpferd des Wahlkampfs als ein Kampffeld geworden ist.
Genau das ist der Punkt: Weder die alten Liberalen und ehemaligen Sozialdemokrat*innen noch die extreme Rechte der besonderen Art sind in der Lage, das Kampffeld zu erweitern. Das gibt den arbeitenden Menschen Raum, dieses Feld mit Zuversicht und Klarheit zu betreten und eine Politik der Emanzipation gegen den Würgegriff des Kapitalismus zu formulieren, und es erlaubt ihnen, den Kampf der Ideen zu vertiefen und programmatische Fragen aufzuwerfen, die auf die Lösung echter Probleme abzielen, anstatt nur zu versuchen, Wahlformationen aufzubauen, um die Rechte zu besiegen.
Diese Tiefseekreaturen gehen mir nicht aus dem Kopf. An einer Stelle in Mary Shelleys Roman Frankenstein sagt das Monster, dass es zwar «dein [seines Schöpfers] Adam sein sollte», aber «eher der gefallene Engel» (d. h. Luzifer) sei. Der Name Luzifer – wie luciferin und luciferase – stammt von dem lateinischen Wort für «Lichtbringer», und obwohl der Begriff erstmals in einer Übersetzung der hebräischen Bibel aus dem späten vierten Jahrhundert als Übersetzung des hebräischen Ausdrucks Heilel oder «der Leuchtende» auftauchte, wurde er erst in John Miltons Paradise Lost (1667) mit dem gefallenen Engel gleichgesetzt. Könnte es sein, dass die Monster, Agenten der extremen Rechten der besonderen Art – wie Trump – in gewisser Weise auch luziferische «Lichtbringer» sind, deren Widersprüche es uns ermöglichen, die Täuschungen des neoliberalen Paktes besser zu erkennen? Das können sie, aber darüber hinaus können sie und der Rest der Ungeheuer der nordatlantischen Welt nichts tun. Sie sind nicht wie die Tiefseekreaturen. Ihre Anhänger sind kurzzeitig von ihrem Charisma begeistert, aber schon bald werden sie vor ihrem Versagen zittern. Wohin werden diese Massen gehen, wenn sie das Interesse an der extremen Rechten der besonderen Art verloren haben? Die düsteren Realitäten des Krieges und des Hungers haben die Möglichkeiten eines inneren Lichts für viele Menschen verdunkelt, die den Funken in ihren Augen verloren zu haben scheinen, der einen Weg nach vorne zu erhellen verspricht.
Aber dieses Licht kann nicht erlöschen. Es gibt immer ein Aufblitzen des Lichts. Der haitianische Dichter Paul Laraque (1920-2007) schrieb surrealistisch über diese kurzen Lichtblitze in den Tänzen der Kreaturen und Blumen tief im Wasser in seinem Gedicht «Mourir» («Sterben»), das in seiner Sammlung Les armes quotidiennes: Poésie quotidienne («Alltägliche Waffen: Alltägliche Poesie») 1979 erschien.
Die Welle des Schattens zerrte sie ins Nichts,
auf den Grund des Meeres, wo sie zwischen den Korallen ruhen,
die sich wie Rosen öffnen, der rot schillernde Tanz der Fische,
die rostigen Überreste von Schiffen, die lächerliche Üppigkeit des Sandes.
Dieser rot schillernde Tanz der Fische, unser Protest für eine neue Welt.
Herzlichst,
Vijay