Der sechste Newsletter (2025)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Donald Trump ist mit einem lauten Paukenschlag ins Weiße Haus zurückgekehrt. Seine Mitarbeiter*innen haben ihm einen Gesetzeserlass nach dem anderen auf den Schreibtisch gelegt, er hat mit Schwung unterschrieben und dann zum Telefon gegriffen, um den Dän*innen, Panamaer*innen und Kolumbianer*innen Befehle zu erteilen und dieses und jenes einzufordern, was seiner Meinung nach den Vereinigten Staaten zusteht.
In Trumps Geschichtsverständnis erlebten die USA einst ein goldenes Zeitalter. Jetzt ist er das Symbol für deren Angst. Sein Slogan «Make America Great Again» täuscht nicht über die Sorge vor dem Zusammenbruch hinweg: Make it great again, sagte er, denn es ist nicht mehr groß, und es sollte groß sein, und ich werde es groß machen. Seine Anhänger*innen wissen, dass er zumindest in seiner Einschätzung des Niedergangs ehrlich war. Viele spüren es an ihren Bankkonten, die zu leer sind, um ihre Familien zu ernähren, und sie sehen es an der zerbröckelten Infrastruktur, die sie umgibt. Crystal Meth und Fentanyl betäuben den hässlichen Schmerz, während die neuen Songs der Vereinigten Staaten die Ungewissheit beklagen und darauf hinweisen, dass selbst ihre «Träume sich abnutzen». Ein Passagierflugzeug kollidiert mit einem Armeehubschrauber, und Trump steigt auf das Podium im Pressesaal des Weißen Hauses und macht Programme zur Berücksichtigung von Vielfalt bei der Einstellung von Mitarbeiter*innen für den Unfall verantwortlich. Genies müssen am Computer der Flugsicherung sitzen, sagt er. Doch der Mann, der an jenem Abend am Kontroll-Desk saß, machte den Job von zweien, und zwar aufgrund der rücksichtslosen Kürzungen, die Jahrzehnte zuvor begannen, nämlich 1981 als Ronald Reagan die Gewerkschaft der Fluglotsen (Professional Air Traffic Controllers Organisation, kurz PATCO) auflöste. Reagan war es auch, der als erster Trumps späteren Slogan «Make America Great Again» in die Welt setzte.
Die Realität ist hässlich. Es ist viel einfacher, sich der Fantasie hinzugeben. Trump ist der Zauberer, der diese Fantasie beflügelt. Alles hat sich verschlechtert – nicht wegen des Angriffs auf die Gewerkschaften, der darauf folgenden Sparmaßnahmen oder wegen des Aufstiegs der Tech-Bros, deren Anteil am gesellschaftlichen Überschuss unverschämt ist und die seit Jahrzehnten im Steuerstreik sind. Trumps Fantasie ist inkohärent. Wie sonst hätte er Elon Musk, das Symbol des Niedergangs, zum Agenten der Transformation für ein neues Goldenes Zeitalter erheben können?

Es ist Wahnsinn, ja. Aber der Imperialismus war schon immer von Wahnsinn durchzogen. Hunderte von Millionen von Menschen von den Amerikas bis China wurden entweder getötet oder unterworfen, damit sich ein kleiner Teil der Welt – der Nordatlantik – bereichern konnte. Das ist Wahnsinn. Und es hat funktioniert. Es funktioniert bis zu einem gewissen Grad immer noch. Die neokoloniale Struktur des Kapitalismus bleibt intakt. Wenn ein Land in Afrika, Asien, Lateinamerika oder auf den pazifischen Inseln versucht, seine Souveränität zu behaupten, wird es in die Defensive gedrängt. Staatsstreiche, Ermordungen, Sanktionen, Diebstahl von Reichtümern – dies sind nur einige der Instrumente, die eingesetzt werden, um jeden Versuch der Souveränität zu zerstören. Und diese neokoloniale Struktur wird aufgrund der internationalen Spaltung der Menschheit aufrechterhalten: Einige Menschen glauben weiterhin, dass sie anderen überlegen sind. In unserer Tricontinental-Studie Hyper-Imperialismus haben wir gezeigt, dass auf die NATO-Plus-Länder über 74 % der weltweiten Militärausgaben entfallen. Zwar entfallen 10 % auf China und 3 % auf Russland, doch wird immer wieder behauptet, China und Russland seien die Bedrohung und nicht die NATO, die unter der Führung der Vereinigten Staaten in Wirklichkeit die gefährlichste Institution der Welt ist. Die NATO hat ganze Länder zerstört (z. B. Jugoslawien, Afghanistan und Libyen) und droht nun leichtfertig mit Kriegen gegen Länder, die über Atomwaffen verfügen (China und Russland). Trump schreit in den Wind:
Wir wollen den Panamakanal.
Wir wollen Grönland.
Wir wollen es den Golf von Amerika nennen.
Warum sollten diese Forderungen überraschen? Seit 1821, als sich die Region unter der Führung von Simón Bolívar (1783-1830) vom spanischen Reich löste, war Panama Teil der Republik Großkolumbien. Das Interesse am Bau eines Kanals durch die Landenge von Panama, um die Seewege zwischen dem Atlantik und dem Pazifik zu verkürzen und die lange Reise um Südamerika zu umgehen, entwickelte sich im frühen 20. Jahrhundert, Jahrzehnte nachdem sich Großkolumbien in das heutige Panama, Venezuela, Kolumbien und Ecuador aufgegliedert hatten. Im Jahr 1903 hatten Intrigen Frankreichs und der Vereinigten Staaten sowie eine Intervention der US-Marine zur Abspaltung Panamas von Kolumbien geführt. Die neue panamaische Regierung übertrug den Vereinigten Staaten die Panamakanalzone, was die volle Kontrolle über die Landenge von 1903 bis 1999 bedeutete, als die USA den Kanal an die panamaische Gerichtsbarkeit «zurückgaben». Nicht zu vergessen, dass die USA 1989, als ihnen ihr ehemaliger CIA-Agent Manuel Noriega nicht mehr behagte, in Panama einmarschierten, Noriega festnahmen und ihn in Miami, Florida, inhaftierten, bevor sie ihn 2017 zum Sterben nach Panama-Stadt entließen. Der derzeitige Präsident Panamas, José Raúl Mulino, trat während der Amtszeit von Guillermo Endara in die Regierung ein, der 1989, als man Noriega nach Florida brachte, auf einer US-Militärbasis vereidigt wurde. Diese Männer sind mit der proprietären Art und Weise, wie die Vereinigten Staaten ihr Land betrachten, bestens vertraut. Es ist nicht Trump allein, der den Panamakanal «will»; es ist die gesamte Geschichte der Behandlung Lateinamerikas durch die USA – von der Monroe-Doktrin bis heute -, die dieser eine Satz zusammenfasst: Wir wollen den Panamakanal.
Das Gedächtnis ist unzuverlässig. Immer wieder schleichen sich Halbwahrheiten und Ausflüchte ein. Unter der sichtbaren Realität der Ereignisse liegen tiefere Strukturen, die unsere Sicht der Dinge beeinflussen. Alte koloniale Vorstellungen von westlichem Wohlwollen und einheimischer Wildheit drängen bei der Interpretation an die Oberfläche.

Im Jahr 2004, ein Jahr nachdem die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten einen Angriffskrieg gegen den Irak begonnen hatten, interviewte Owen Bennett-Jones von der BBC den Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan. In diesem Gespräch ging es unter anderem um den Krieg gegen den Irak:
Owen Bennett-Jones (OBJ): Sie glauben also nicht, dass es eine rechtliche Grundlage für den Krieg gab?
Kofi Annan (KA): Ich habe klar gesagt, dass er nicht im Einklang mit dem Sicherheitsrat und der UN-Charta stand.
OBJ: Er war illegal?
KA: Ja, wenn Sie es wünschen.
OBJ: Er war illegal?
KA: Ja, ich habe darauf hingewiesen, dass er nicht im Einklang mit der UN-Charta steht. Aus unserer Sicht und aus der Sicht der Charta war er illegal.
Wenn der Krieg illegal war, ein Angriffskrieg, dann hätte es Konsequenzen geben müssen. Das war der Zweck des Nürnberger Tribunals von 1945-46. Die Zahl der durch diesen Krieg verursachten Todesopfer übersteigt inzwischen bei Weitem die Millionengrenze, und weitere Millionen wurden durch die Zerstörung der Infrastruktur in Mitleidenschaft gezogen. Wenn dieser Krieg als Angriffskrieg behandelt worden wäre, könnten dann seine Urheber (George W. Bush und Tony Blair) mit ihrem Tausend-Dollar-Lächeln und ihren schicken Maßanzügen durch die Welt reisen? Gegen sie wurde weder ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs erlassen, noch wurden ihre Länder vor den Internationalen Gerichtshof gebracht, um sich einer Anhörung zu stellen. Bush wurde im Jahr 2008, als er nach Bagdad reiste, von Muntadhar al-Zaidi mit Schuhen beworfen, während Blair bei der Untersuchung des Irakkriegs 2012 von David Lawley-Wakelin überrascht wurde, der hinter einem Vorhang hervortrat und sagte: «Dieser Mann muss wegen Kriegsverbrechen verhaftet werden». Weder haben die Schuhe Bush getroffen, noch wurde Blair verhaftet. Jetzt hat sich Blair in einen Friedensstifter verwandelt, und Bush hat sich zu einem Staatsmann-Veteran gemausert.

In seiner dreistündigen Eröffnungsrede vor dem Nürnberger Tribunal im Jahr 1945 sagte Richter Robert Jackson:
Die Zivilisation fragt sich, ob das Recht so rückständig ist, dass es Verbrechen dieser Größenordnung durch Verbrecher dieser Größenordnung völlig hilflos gegenübersteht. Sie erwartet nicht, dass Sie den Krieg unmöglich machen können. Sie erwartet, dass Ihr juristisches Handeln die Kräfte des internationalen Rechts, seine Gebote, seine Verbote und vor allem seine Sanktionen auf die Seite des Friedens stellt, so dass Männer und Frauen guten Willens in allen Ländern «Frei sind, ohne die Erlaubnis anderer zu leben, unter dem Gesetz».
Die von Richter Jackson zitierte Zeile stammt aus Rudyard Kiplings Gedicht «The Old Issue» (1899), das in den 1940er Jahren viel gelesen wurde. Zwei Jahre vor Jacksons Eröffnungsrede zitierte der britische Premierminister Winston Churchill in seiner Rede an der Harvard University aus demselben Gedicht, um darauf hinzuweisen, dass es, wie er sagte, «gemeinsame Vorstellungen davon gibt, was richtig und anständig ist», die die Menschen mit «einem strengen Gefühl für unparteiische Gerechtigkeit ausstatteten … oder wie Kipling es ausdrückte: ‹Frei sind, ohne die Erlaubnis anderer zu leben, unter dem Gesetz›». Churchill fasste seine Vorstellung von dem, was «richtig und anständig» ist, in seiner zwei Jahrzehnte zuvor geäußerten Ansicht zusammen, als er im Zusammenhang mit dem kurdischen Aufstand im Nordirak schrieb, er sei «sehr dafür, Giftgas gegen unzivilisierte Stämme einzusetzen».

Es lohnt sich, den Fokus von Nürnberg, das relativ gut bekannt ist, auf die weniger bekannten Kriegsverbrecherprozesse in Tokio zu verlagern. Dort beschloss das Tribunal, militärische Führungspersonen zu bestrafen, deren Truppen Gräueltaten begangen hatten. General Tomoyuki Yamashita befehligte die Vierzehnte Armeegruppe der Kaiserlich Japanischen Armee, die hauptsächlich auf den Philippinen operierte. Nach seiner Kapitulation wurde General Yamashita beschuldigt, seinen Truppen erlaubt zu haben, Gräueltaten an Zivilist*innen und Kriegsgefangenen zu begehen. Er wurde am 23. Februar 1946 hingerichtet. Niemand behauptete, dass General Yamashita persönlich jemandem Leid zugefügt hatte: Er wurde wegen «Befehlshaftung» angeklagt. Der leitende Militärankläger in Nürnberg, Telford Taylor, stellte 1970 fest: «Es gab keine Anschuldigung, dass General Yamashita diese Grausamkeiten gebilligt, geschweige denn befohlen hatte, und es gab keinen Beweis dafür, dass er von ihnen wusste, außer der Schlussfolgerung, dass er sie aufgrund ihres Ausmaßes gekannt haben musste». Er wurde gehängt, weil, wie das Tokioter Tribunal feststellte, General Yamashita «es versäumt hatte, seine Truppen wirksam zu kontrollieren, wie es die Umstände erforderten». Taylor schrieb diese Worte in seinem Buch Nürnberg and Vietnam: An American Tragedy, das heute in Vergessenheit geraten ist, und plädierte dafür, nicht nur US-Politiker und Generäle, sondern auch US-Flieger, die zivile Ziele in Nordvietnam bombardierten, strafrechtlich zu verfolgen, weil sie wie in der Nürnberger Zeit an dem Verbrechen der «aggressiven Kriegsführung» beteiligt waren.

Mitte Januar traf Alex Morris von Declassified UK auf dem Weg zu einer Zusammenkunft mit dem britischen Verteidigungsministerium und dem Royal United Services Institute auf den israelischen General Oded Basyuk. General Basyuk hat den Völkermord an den Palästinenser*innen mitgeleitet und wird vom Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Dennoch war er auf den Straßen Londons unterwegs zu einem Treffen mit hochrangigen britischen Militärs. Die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs gegen den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu wurden von Polen und den Vereinigten Staaten außer Kraft gesetzt, als seien das Nürnberger und das Tokioter Tribunal in Vergessenheit geraten. Leider sind die Grundsätze der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Straflosigkeit (2005) nicht rechtsverbindlich.
An manchen Orten der Welt fließt Blut auf den Straßen. In anderen werden die Gläser mit Champagner gefüllt.
Im Jahr 1965, während des Krieges zwischen Indien und Pakistan, schrieb Faiz Ahmed Faiz ein Gedicht mit dem Titel «Blackout»:
Seit unsere Lichter ausgelöscht wurden
habe ich nach einem Weg gesucht, um zu sehen;
meine Augen sind verloren, Gott weiß wo.
Ihr, die ihr mich kennt, sagt mir, wer ich bin,
wer ein Freund und wer ein Feind ist.
Ein mörderischer Fluss ist entfesselt worden
in meinen Adern; der Hass schlägt in ihm.
Habt Geduld; ein Blitz wird kommen
von einem anderen Horizont wie die weiße Hand
von Moses mit meinen Augen, meinen verlorenen Diamanten.
Lasst uns unsere verlorenen Diamanten finden.
Herzlichst,
Vijay