Der zwölfte Newsletter (2025)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Als 1945 die Charta der Vereinten Nationen geschrieben wurde, haben ihre Verfasser*innen und diejenigen, die sie zuerst verabschiedeten, sorgfältig formuliert, wie mit bewaffneten Konflikten in der Welt umgegangen werden soll. Zwischen der Unterzeichnung der Charta im Juni und ihrem Inkrafttreten im Oktober warfen die Vereinigten Staaten Atombomben auf zwei japanische Städte ab: Hiroshima, am 6. August, und Nagasaki, am 9. August. Es ist schwer zu verdauen, dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten zu dem Zeitpunkt, als die feierliche Präambel der Charta formuliert wurde, die darauf abzielt, «nachfolgende Generationen vor der Geißel des Krieges zu bewahren, die zweimal zu unseren Lebzeiten unsagbares Leid über die Menschheit gebracht hat», die Zerstörung zweier ziviler Städte in einem Land vorbereiteten, das bereits kurz vor der Kapitulation stand.
Dennoch haben die Verfasser*innen der Charta lange über das Problem von kriegführenden Staaten nachgedacht und Kapitel VII ausgearbeitet, in dem zwei Ansätze zur Kriegsverhütung beschrieben werden. Der erste Ansatz beinhaltet, so viele nichtmilitärische Methoden wie möglich anzuwenden (Artikel 41), bevor die Vereinten Nationen Gewalt gegen einen kriegführenden Staat genehmigen können (Artikel 42). In der Charta heißt es, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen «die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten sowie den Abbruch der diplomatischen Beziehungen …beschließen kann». Das einzige Mal, dass der UN-Sicherheitsrat Artikel 41 in vollem Umfang angewandt hat, war gegen die rassistische Regierung von Südrhodesien von 1968 (UN-Sicherheitsratsresolution Nr. 253) bis 1979 (UN-Sicherheitsratsresolution Nr. 460); gegen den Irak wurde der Artikel von 1990 bis 2003 und gegen Jugoslawien von 1992 bis 1995 fast in vollem Umfang angewandt. Das Wichtigste an dieser Resolution ist, dass die Anwendung von Sanktionen (ein Wort, das in der Charta nicht vorkommt) vom UN-Sicherheitsrat genehmigt werden muss. Ein Staat kann in einem bilateralen Streitfall seine eigenen Sanktionen gegen einen anderen Staat verhängen, aber er kann andere Staaten nicht rechtlich dazu zwingen, sie zu befolgen. Dies wäre ein Verstoß gegen die UN-Charta.

Der letzte Punkt ist insofern von Bedeutung, als die Vereinigten Staaten derzeit Sanktionen (eine Form einseitiger Zwangsmaßnahmen) gegen etwa vierzig Länder ohne ein Mandat des UN-Sicherheitsrats verhängen. Und es werden immer mehr: Von 2000 bis 2021, der letzten Periode, zu der Daten vom US-Finanzministerium vorliegen, ist die Zahl der US-Sanktionen um bemerkenswerte 933 % gestiegen. Diese Sanktionen wären legal, wenn sie nur bilateral angewendet würden; sind aber illegal, weil die Vereinigten Staaten Drittländer, die gegen sie verstoßen und normalen Handel mit sanktionierten Ländern treiben, maßregeln und bestrafen. Da die Vereinigten Staaten im Zentrum des internationalen Finanzsystems stehen (mit dem US-Dollar, dem globalen Zahlungssystem SWIFT und ihrem Vetorecht im Internationalen Währungsfonds), können sie Länder strangulieren, die andernfalls in der Lage wären, den Verlust des Handels mit den USA durch Handel mit dem Rest der Welt auszugleichen.
Die Verwendung des Wortes «strangulieren» ist nicht unbeabsichtigt. Es ist wichtig zu verstehen, wie diese Sanktionen funktionieren: Es gibt primäre Sanktionen gegen Zielländer, sekundäre Sanktionen gegen Unternehmen oder Länder, die mit dem Zielland Handel treiben, und tertiäre Sanktionen gegen Unternehmen oder Länder, die von sekundären Sanktionen betroffen sind. Es ist endlos. Das ist es, was Kuba seit 1962 im Würgegriff hält. Eine Studie nach der anderen zeigt, dass diese Praxis den ärmsten Menschen in den angegriffenen Gesellschaften schaden. Sie sind ebenso «gezielt» wie«intelligente Bomben», die ganze Stadtviertel zerstören und ganze Familien auslöschen. Der Unterschied zwischen diesen einseitigen Zwangsmaßnahmen (Unilateral Coercive Measures, kurz UCM) und einem Krieg mit Bomben ist sicherlich groß, da letztere die materielle Infrastruktur des Ziellandes weitaus stärker zerstören, doch das Wesen des Angriffs ist dasselbe: zwei Formen des Krieges, eine mit der Brutalität von Blockaden und die andere mit der Bösartigkeit von Bomben. Manchmal geben die Machthaber die Verwüstung offen zu. Als US-Außenminister Mike Pompeo 2019 von Matt Lee von der Associated Press zu den gegen Venezuela verhängten UCMs befragt wurde, antwortete Pompeo: «Der Kreis wird enger. Die humanitäre Krise wird von Stunde zu Stunde größer. … Man kann zusehen, wie der Schmerz und das Leid des venezolanischen Volkes wachsen.» Was bewirken diese illegalen UCMs? Sie verursachen Schmerz und Leid.

Es gibt zahlreiche Belege für die Auswirkungen illegaler UCMs auf die Gesellschaft. Nach ihrem Amtsantritt im Jahr 2020 hat Alena Douhan, die UN-Sonderberichterstatterin für die negativen Auswirkungen einseitiger Zwangsmaßnahmen auf die Wahrnehmung der Menschenrechte, eine wichtige Arbeit vorgelegt, die die Auswirkungen von UCMs von Syrien bis Venezuela dokumentiert. 2021 erklärte Douhan vor dem UN-Menschenrechtsrat, dass die Auswirkungen von UCMs «besonders schwerwiegend für gefährdete Gruppen» sind, darunter Frauen und Kinder sowie «indigene Völker, Menschen mit Behinderungen, Flüchtlinge, Binnenvertriebene, Migrant*innen, in Armut lebende Menschen, ältere Menschen, Menschen, die von schweren Krankheiten betroffen sind, und andere, die in der Gesellschaft vor besonderen Herausforderungen stehen».
Unser jüngstes Dossier, Imperialist War and Feminist Resistance in the Global South («Imperialistischer Krieg und feministischer Widerstand im Globalen Süden», März 2025), beleuchtet, wie UCMs eingesetzt werden, um Staaten und Gesellschaften anzugreifen, die sich durch ihre bloße Existenz dem Globalen Norden widersetzen. Unsere Studie über die Auswirkungen der UCMs spiegelt wider, was Douhan 2021 feststellte, nämlich dass diese Mechanismen die schwächsten Gruppen am härtesten treffen. Diese Gruppen, die «Verwundbaren», führen den Kampf gegen die UCMs an: Sie sind keineswegs schutzlos, sondern stehen an vorderster Front, wenn es darum geht, sich gegen die Grausamkeit des hybriden Krieges zu mobilisieren und Widerstand zu leisten.

Dieses Dossier konzentriert sich weitgehend auf Venezuela, wo wir mit führenden Vertreter*innen von Bauern- und Arbeiterorganisationen wie der Organisation Heldinnen ohne Grenzen (Organización Heroínas sin Fronteras) und der Venezolanischen Versammlung für Wohnungsbau Jorge Rodríguez Padre (Asamblea Viviendo Venezolanos Jorge Rodríguez Padre) gesprochen haben. Aufgrund der Grausamkeit der UCMs und der patriarchalischen Verpflichtung, dass Frauen überwiegend die Arbeit der sozialen Reproduktion übernehmen, waren Arbeiterinnen und Bäuerinnen gezwungen, Familien in Not zusammenzuhalten, und bildeten eine Vielzahl von Gruppen zur gegenseitigen Hilfe, um politische Macht in ihrer Gesellschaft aufzubauen. Wenn sie nicht über fließendes Wasser, Medikamente oder gar Lebensmittel verfügten, gründeten sie kollektive Kliniken und Lebensmittelbanken, die zwar vom Staat unterstützt, aber größtenteils von den Frauen selbst betrieben wurden.
Im Dezember 2021 besuchte ich die Gemeinde Altos de Lídice, wo ich mit einer Gruppe von Frauen zusammentraf, die sich zusammengefunden hatten, um den Schwierigkeiten der COVID-19-Pandemie zu begegnen. Die Gemeinde besteht aus mehr als 6.000 Menschen, die in acht Gemeinderäten (consejos comunales) organisiert sind. Die venezolanischen Gemeinden (comunas) basieren auf demokratischen Versammlungen und sind als lokale Räume der Selbstverwaltung und als Bausteine für den Aufbau des Sozialismus gedacht. Teil ihrer Philosophie ist es, die Bevölkerung zu mobilisieren und nicht nur bürokratisch Probleme zu lösen. Die Frauen, die ich an diesem Tag traf, sprachen über die von ihnen eingerichtete Klinik, die Ärzt*innen aus nahegelegenen Krankenhäusern heranzog, um Konsultationen und kostenlose Medikamente anzubieten (letzere bekamen sie über Kontakte in einem Frauenkrankenhaus in Chile). Diese Arbeit wurde von Frauen geleitet; «wir setzen die Männer ein», sagte scherzhaft die Leiterin der Gruppe, Alejandra Trespalacios. Eine ihrer bewegendsten und wirksamsten Kampagnen war ein Arepazo, bei dem Arepas (runde, gefüllte Maismehlfladen) an die Schwächsten in der Gemeinde verteilt wurden. Alle drei Monate wurden Kinder und ältere Menschen gewogen, und alle, die untergewichtig waren, erhielten eine Arepa als Zeichen ihres Engagements für alle Menschen in der Gemeinde; anhand der Daten wussten sie, wohin sie die Lebensmittelhilfe in der Nachbarschaft lenken mussten. «Dies sind Zeiten des Kampfes», sagte Trespalacios. Der Arepazo war Teil des Kampfes der Gemeinde gegen Unterernährung und Hunger.
Gleichzeitig wird in unserem Dossier darauf hingewiesen, dass auch gründlich darüber nachgedacht werden muss, wie «die geschlechtsspezifische Aufteilung der politischen Arbeit» bei wichtigen Bemühungen wie diesen verstärkt auftritt. Frauen haben zwar eine wichtige Präsenz und Führungsrolle in der Gemeindeorganisation, doch erstreckt sich dies nicht unbedingt auf andere Bereiche der politischen Vertretung und der staatlichen Verwaltung. Der Kampf dafür, dass Frauen in Führungspositionen auf der Gemeindeebene zu größerer Verantwortung und Macht gelangen, ist Teil des wesentlichen Kampfes der Arbeiterinnen und Bäuerinnen.

Im Alter von zwölf Jahren schloss sich Olga Luzardo (1916-2016) einer marxistischen Gruppe in der nordwestlichen Stadt Maracaibo an. Im Jahr 1931 wurde sie zu einer der Gründerinnen der Kommunistischen Partei Venezuelas (Partido Comunista de Venezuela, kurz PCV). Die junge Luzardo unterrichtete an der Ho-Chi-Minh-Schule der PCV und zog mit ihrer «Wanderschule» durch Venezuela, um den Marxismus unters Volk zu bringen. 1937 nahm sie am Kongress der Frauen Venezuelas (Congreso de Mujeres) teil, der aus den kulturellen Frauengruppen der PCV hervorging. Während der Diktatur von Marcos Pérez Jiménez verhaftet, ging Luzardo ins Exil in die Sowjetunion und kehrte 1958 nach Venezuela zurück. Sie hatte mehrere Pseudonyme, wie etwa «Jorge», das sie in ihrem Kampf gegen die venezolanische Bourgeoisie verwendete, und «Petrowna», inspiriert von der Oktoberrevolution, unter dem sie sich als Journalistin und Dichterin einen Namen machte, weil sie eine neue Sprache für die Rebellion finden wollte. Während ihrer Zeit im Gefängnis zwischen 1950 und 1952 schrieb sie Gedichte, die später in der 1998 erschienenen Sammlung Huellas frescas («Frische Fußspuren») veröffentlicht wurden. In einem dieser Gedichte fordert sie ihre Tochter Iguaraya Pérez und alle anderen Mädchen auf, «Soldatinnen» zu sein, Kämpferinnen für Gerechtigkeit:
Meine Tochter: Ich möchte, dass du Soldatin wirst.
Möge dein Blut die bunten Fahnen tränken,
die in der Welt wehen, wenn es für unsere Sache notwendig wird.
Möge der Frieden, der nicht möglich ist,
solange es Nationen und Grenzen gibt,
dir nie untätig träumend und ohne ein gutes Gewehr auf dem Rücken begegnena.
Denn an dem Tag, an dem wir alle eine Waffe
und den Wunsch nach einem anderen Leben haben,
wird die ganze Erde ein einziges Heimatland werden.
Damit es Frieden gibt, meine Tochter,
müssen die Armen der Welt zu den Waffen greifen.
Und aus diesem Grund möchte ich, dass du ein Soldatin bist.
Herzlichst,
Vijay