Der fünfzehnte Newsletter (2025)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Vor 80 Jahren, am 11. April 1945, rückten Einheiten der 4. Panzerdivision der US-Streitkräfte unter General George S. Patton auf Weimar vor, wo sich das Konzentrationslager Buchenwald befand. Pattons Truppen übernahmen schließlich die Kontrolle über das Lager, aber Aussagen von Soldaten, die später von Historikern gesammelt wurden, belegen, dass es nicht die US-Panzer waren, die Buchenwald befreiten: Das Lager war bereits durch die Organisation und den Mut der Häftlinge eingenommen, die die Flucht deutscher Soldaten angesichts des Vormarsches der Alliierten ausnutzten.
Politische Häftlinge im Konzentrationslager Buchenwald hatten sich zu Kampfgruppen zusammengeschlossen, die ihre versteckten Waffen nutzten und einen Aufstand im Lager anführten, bei dem die Nazi-Wachen entwaffnet und der Turm am Lagereingang eingenommen wurden. Die Häftlinge hissten eine weiße Flagge am Turm und bildeten einen Ring um das Lager, um die US-Truppen darüber zu informieren, dass sie das Konzentrationslager Buchenwald bereits befreit hatten und empfingen sie mit den Worten: «Das Lager hat sich selbst befreit».
Buchenwald war nicht das einzige Lager, in dem Häftlinge sich zur Wehr setzten. Im August 1943 erhoben sich die Häftlinge von Treblinka zu einem bewaffneten Aufstand. Obwohl die Nazis die Aufständischen erschossen, sahen sie sich danach zur Schließung dieses abscheulichen Vernichtungslagers gezwungen (die Nazis hatten allein in diesem Lager fast eine Million Juden ermordet).
Die Rote Armee der Sowjetunion und die US-Streitkräfte befreiten mehrere Lager, die meisten davon schreckliche Todeslager des Holocaust. US-Truppen befreiten Dachau im April 1945, doch es war die Rote Armee, die die Tore zu den eigentlichen Vernichtungslagern öffnete, wie Majdanek (Juli 1944), Auschwitz (Januar 1945) in Polen und Sachsenhausen (April 1945) und Ravensbrück (April 1945) in Deutschland.

Im Juli 1937 brachte das NS-Regime Häftlinge aus Sachsenhausen in die Nähe von Weimar (Heimat von Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller und Ort der Unterzeichnung der Verfassung der Weimarer Republik von 1919). Die Häftlinge rodeten fast 160 Hektar Wald und errichteten ein Konzentrationslager für 8.000 Menschen, die der Lagerkommandant Hermann Pister (1942–1945) für medizinische Experimente und Zwangsarbeit einsetzte. Als das Lager acht Jahre später geschlossen wurde, waren dort fast 280.000 Häftlinge untergebracht (hauptsächlich Kommunisten, Sozialdemokraten, Roma und Sinti, Juden und christliche Dissidenten). Ende 1943 erschossen die Nazis in dem Lager fast 8.500 sowjetische Kriegsgefangene und töteten viele Kommunisten und Sozialdemokraten. Die Nazis töteten in diesem Lager schätzungsweise 56.000 Häftlinge, darunter auch den KPD-Führer Ernst Thälmann, der am 18. August 1944 nach elf Jahren Einzelhaft erschossen wurde. Doch Buchenwald war kein Vernichtungslager wie Majdanek und Auschwitz. Es war nicht direkt Teil von Adolf Hitlers abscheulicher «Endlösung der Judenfrage».In Buchenwald gründeten Kommunisten und Sozialdemokraten das Internationale Lagerkomitee, um ihr Leben im Lager zu organisieren und Sabotageakte und Aufstände zu verüben, sogar in den Rüstungsfabriken, in denen sie Zwangsarbeit leisten mussten. Aus dieser Organisation entwickelte sich schließlich das 1944 gegründete Internationale Lagerkomitee mit vier Anführern: Hermann Brill (Sozialdemokrat, Mitglied der Widerstandsgruppe Deutsche Volksfront), Werner Hilpert (Christdemokrat), Ernst Thape (Sozialdemokrat) und Walter Wolf (Kommunistische Partei Deutschlands). Trotz der unmenschlichen Haftbedingungen diskutierte das Komitee bereits über eine mögliche Zukunft eines neuen, von Grund auf entnazifizierten Deutschlands, das auf einer kooperativen Wirtschaft basieren sollte. Während seiner Inhaftierung in Buchenwald verfasste Wolf sein Werk Kritik der Unvernunft: Zur Analyse der nationalsozialistischen Pseudophilosophie.

Eine Woche nach der Befreiung Buchenwalds errichteten Häftlinge in der Nähe des Lagers eine Holzskulptur als Symbol ihres antifaschistischen Widerstands. Sie wollten an das Lager nicht als Ort des Todes, sondern als Ort des Widerstands in der Haft und an die Selbstbefreiung erinnern. Bereits 1945 hatten die Häftlinge den Schwur von Buchenwald formuliert, der zu ihrem Credo wurde: «Wir geben den Kampf erst auf, wenn der letzte Schuldige vom Gericht aller Nationen verurteilt ist. Die endgültige Vernichtung des Nationalsozialismus mit seinen Wurzeln ist unser Ziel. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.»Das Lager, auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone und somit der späteren Deutschen Demokratischen Republik gelegen, diente dann als Speziallager, in dem Nazis interniert wurden, die auf ihre Prozesse warteten. Einige von ihnen wurden für ihre Verbrechen hingerichtet, darunter Weimars Bürgermeister Karl Otto Koch, der 1941 die Verhaftung der Juden in der Stadt organisiert hatte. Auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs integrierte die Bundesrepublik Deutschland (Westdeutschland) ehemalige Nazis rasch in die Staatsbürokratie; so waren etwa zwei Drittel der leitenden Angestellten des Bundeskriminalamts ehemalige Nazis. Nach Schließung des sowjetischen Speziallagers im Jahr 1950 wurden die Überreste von Buchenwald Teil des öffentlichen Gedenkprojekts in der DDR.

Auf Initiative der DDR-Regierung wurde Buchenwald zu einer «Nationalen Mahn-und Gedenkstätte» gestaltet, wozu unter anderem ein Künstlerwettbewerb ausgeschrieben wurde. 1958 öffnete Otto Grotewohl, erster Ministerpräsident der DDR, das Lager für Hunderttausende Arbeiter und Schulkinder. Sie konnten die Gebäude besichtigen, Fakten über die Gräueltaten und den Widerstand hören und sich gegen den Faschismus engagieren. Im selben Jahr veröffentlichte der ehemalige Häftling Bruno Apitz den Roman Nackt unter Wölfen. Darin erzählte er, wie die Widerstandsbewegung im Lager einen kleinen Jungen unter großer Gefahr für sich selbst versteckte und wie die Bewegung 1945 das Lager einnahm. Der Roman wurde 1963 in der DDR von Frank Beyer verfilmt. Die Geschichte basiert auf der wahren Geschichte von Stefan Jerzy Zweig, einem Jungen, der von den Häftlingen versteckt wurde, um ihn vor der Deportation nach Auschwitz zu bewahren. Zweig überlebte die Tortur und starb 2024 im Alter von 81 Jahren in Wien.
Die DDR prägte ihre nationale Kultur rund um das Thema Antifaschismus. 1949 forderte das Ministerium für Volksbildung die Schulen auf, einen Veranstaltungskalender zu erstellen, der den antifaschistischen Kampf anstelle religiöser Feiertage in den Vordergrund stellte, wie etwa den Weltfriedenstag anstelle des Faschings. Die Jugendweihe, eine aus dem Freidenkertum stammende und in der Arbeiterbewegung bis zur Machtergreifung der Faschisten verbreitete festliche Initiation des Übergangs vom Jugend- zu Erwachsenenalter wurde zu einer Bekräftigung junger Menschen, sich dem Antifaschismus zu verpflichten, umgestaltet. Schulen unternahmen Exkursionen mit ihren Schülern nach Buchenwald, Ravensbrück und Sachsenhausen, um die Abscheulichkeit des Faschismus zu lehren und humanistische und sozialistische Werte zu fördern. Dies war ein wirkungsvolles Beispiel für den gesellschaftlichen Wandel einer Kultur, die vom Nationalsozialismus erfasst worden war.

Als Westdeutschland 1990 den Osten annektierte, begann ein Prozess, der das in der DDR entwickelte antifaschistische Selbstverständnis untergrub. Auch im Fall von Buchenwald ist dieses Vorgehen zu sehen. Zunächst wurde die Führung der Gedenkstätte Buchenwald zu einem Streitpunkt. Dr. Irmgard Seidel, die 1988 die Nachfolge des ehemaligen KPD-Häftlings Klaus Trostorff angetreten hatte, erfuhr durch einen Zeitungsartikel von ihrer Entlassung (durch Untersuchung von SS-Unterlagen hatte Dr. Seidel herausgefunden, dass in Buchenwald 28.000 weibliche Häftlinge als Zwangsarbeiterinnen arbeiteten, größtenteils in den Rüstungsfabriken). Sie wurde durch Ulrich Schneider ersetzt, der dann entlassen wurde, als herauskam, dass er Mitglied der Deutschen Kommunistischen Partei gewesen war. Auf Schneider folgte Thomas Hofmann, der ausreichend antikommunistisch war, um den neuen politischen Führern zu gefallen. Zweitens musste die antifaschistische Ausrichtung der öffentlichen Erinnerung geändert werden, um den Antikommunismus zu fördern, etwa indem das Thälmann-Gedenken kleingeredet wurde. Ein neuer Schwerpunkt wurde auf die Nutzung Buchenwalds durch die Sowjets zur Internierung der Nazis gelegt.
Historiker aus dem Westen Deutschlands verfassten Beiträge, in denen sie die Selbstbefreiung der Häftlinge in Abrede stellten und Pattons Soldaten die Befreiung des Lagers zuschrieben (diese Interpretation vertritt beispielsweise Manfred Overesch in seinem einflussreichen Buch Buchenwald und die DDR: oder die Suche nach Selbstlegitimation, 1995). Im Juni 1991 nahm der deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl an einer Feierstunde anlässlich der Errichtung von sechs großen Kreuzen für die Opfer der «kommunistischen Terrordiktatur» teil und setzte die Verbrechen der Nazis mit dem Vorgehen der Sowjetunion gleich. Zwischen 1991 und 1992 leitete der deutsche Historiker Eberhard Jäckel eine Kommission, die die Geschichte Buchenwalds neu bewerten sollte. In dieser Kommission wurde unter anderem den kommunistischen Häftlingen Kollaboration mit den Nazis vorgeworfen und der Akzent auf die «Opfer» der antifaschistischen Internierung gesetzt. Das bedeutete eine offizielle Umdeutung der historischen Fakten, mit der die Faschisten entlastet und die Antifaschisten herabwürdigt werden.
Dieser Geschichtsrevisionismus erreichte in den letzten Jahren neue Höhepunkte. Diplomatische Vertreter aus Russland und Weißrussland – zwei ehemalige Sowjetrepubliken – wurden von den jährlichen Gedenkveranstaltungen ausgeladen. In Reden in der Gedenkstätte haben Redner die Konzentrationslager der Nazis mit sowjetischen Arbeitslagern gleichgesetzt. Und während israelische Flaggen in Buchenwald offen gezeigt wurden, wurden Besucher, die die Kufiya trugen, des Geländes verwiesen und jede Erwähnung des Völkermordes in Palästina wurde geahndet.Vor diesem Hintergrund des Geschichtsrevisionismus und des Aufstiegs der extremen Rechten in ganz Europa veranstalten unsere Partner das Zetkin Forum im Juni 2025 eine internationale Konferenz mit dem Titel „Faschismus zurück in Europa?“. Ein Teil der Konferenz wird sich mit der Frage befassen, inwiefern faschistische Parteien zur Durchsetzung imperialistischer Interessen aktiv unterstützt und aufgebaut wurden und noch werden? Was war und ist das Verhältnis faschistischer Kräfte zu liberalen und konservativen Parteien und Akteuren? Ihr seid zur Konferenz alle herzlich eingeladen. Tickets gibt es hier.

Zu den Künstlern, die in den 1950er Jahren für Buchenwald eine Reihe von Denkmälern zum Gedenken an den Kampf gegen den Faschismus geschaffen hatten, gehörten die Bildhauer René Graetz, Waldemar Grzimek und Hans Kies. Von ihnen stammen Reliefstelen, auf deren Rückseiten Gedichte von Johannes R. Becher, des ersten Kulturministers der DDR, eingraviert waren:
Was Thälmann sah, sich eines Tags begab.
Sie gruben aus die Waffen, die versteckt.
Die Todgeweihten stiegen aus dem Grab.
Seht ihre Arme weithin ausgestreckt.
Ein Mahnmal seht in vielerlei Gestalt,
Das uns beschwört aus dem Vergessen weckt. –
Die Toten mahnen: Denkt an Buchenwald!
Die Bilder in diesem Newsletter stammen von einstigen Buchenwald-Häftlingen und das Foto zeigt «Aufstand der Häftlinge», eine große Bronzeskulptur über die Selbstbefreiung der Häftlinge, die Fritz Cremer, KPD-Mitglied seit 1929, für die Gedenkstätte Buchenwald schuf.
Herzlichst,
Vijay