Der zweiundzwanzigste Newsletter (2025)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Ich habe diesen Newsletter schon einmal geschrieben. Eigentlich könnte ich diesen Newsletter jedes Jahr schreiben, wenn ein neuer globaler Bericht über die Ernährungskrisen veröffentlicht wird. Der Bericht hebt vier Punkte hervor:
- Wie können wir erklären, warum Menschen hungern?
- Die Zahl der Hungernden ist jetzt größer als im letzten Jahr.
- Die in diesem Jahr produzierte Menge an Nahrungsmitteln ist größer als die im letzten Jahr.
- Es gibt genug Nahrungsmittel, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren, und mehr.

Fügen wir diesen Aussagen Daten hinzu.
Punkt Nr. 1: Laut Studien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), des Welternährungsprogramms, der Weltgesundheitsorganisation, des Internationalen Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen waren im Jahr 2023 733 Millionen Menschen von chronischem Hunger betroffen.
Punkt 2: Im Jahr 2022 produzierten die Landwirt*innen und Agrarunternehmen der Welt 11 Milliarden Tonnen Lebensmittel (einschließlich Fleisch, Fisch und 9,6 Milliarden Tonnen Primärpflanzen wie Mais, Reis und Weizen), wie die FAO berichtet.
Punkt Nr. 3 wird durch eine einfache Berechnung mit folgender Prämisse verdeutlicht:
Prämisse: Ein Mensch isst eine Tonne oder 1.000 Kilogramm Nahrungsmittel pro Jahr (der FAO-Standard für den weltweiten durchschnittlichen Nahrungsmittelverbrauch liegt bei 2.800 Kilokalorien pro Person und Tag).
Berechnung: Wenn eine Tonne Lebensmittel für eine Person benötigt wird und elf Milliarden Tonnen Lebensmittel produziert werden, dann gibt es genug Lebensmittel für elf Milliarden Menschen.
Schlussfolgerung: Derzeit gibt es acht Milliarden Menschen auf der Erde. Es gibt also genug Nahrung für alle Menschen auf der Erde und genug Überschuss, um weitere drei Milliarden Menschen zu ernähren.

Punkt 4: Wie können wir erklären, warum Menschen hungern?
Es gibt viele Gründe für das Ausmaß des Hungers, aber keiner davon kann auf einen Mangel an Nahrungsmitteln aufgrund des Bevölkerungswachstums zurückgeführt werden, wie die Malthusianer*innen behaupten, die glauben, dass das Bevölkerungswachstum die Nahrungsmittelproduktion übersteigt.
Es gibt mindestens drei Gründe, warum es in vielen Teilen der Welt immer wieder zu Beinahe-Hungersnöten kommt.
Erstens zerstören Kriege die Landwirtschafts- und Lebensmittelverteilungssysteme. Dies ist der offensichtlichste Grund für den Hunger. Dies ist der Grund für die Hungersnot im Sudan, einem Land, das über die größte landwirtschaftliche Nutzfläche in ganz Afrika verfügt und – wenn es keinen Krieg gäbe – die Kornkammer Afrikas sein könnte. Trotz des Krieges ist der Sudan der weltweit größte Exporteur von Ölsaaten (Erdnüsse, Saflor, Sesam, Sojabohnen und Sonnenblumen). Etwa 80 % des weltweiten Gummiarabikums wird auf sudanesischem Land produziert. Doch die meisten Felder können nicht bewirtschaftet werden, und viele der Bäuer*innen wurden durch den Krieg vom Land vertrieben oder gezwungen, zur Waffe zu greifen.

Zweitens: Die hässliche alte Gewohnheit der Verschwendung bleibt uns erhalten. Ein Fünftel aller Lebensmittel verdirbt oder wird weggeworfen (das entspricht einer Milliarde Mahlzeiten pro Tag), zwei Drittel aller Lebensmittelabfälle auf Konsumebene entstehen in den reicheren Ländern, und 60 % der weltweiten Lebensmittelabfälle fallen in den Haushalten an. In den reicheren Ländern fallen die meisten Lebensmittelabfälle im Einzelhandel und beim Verbraucher an, vor allem wegen des hohen Verarbeitungs- und Verpackungsaufwands sowie der Tellerabfälle in Haushalten und Restaurants. In den ärmeren Ländern entsteht die meiste Lebensmittelverschwendung am Ort der Produktion (aufgrund von schlechtem Wetter, Schädlingen und Krankheiten) und bei der Lagerung (aufgrund schlechter Einrichtungen mit unzureichender Kühlung und ineffizienten Transportsystemen).

Drittens: Der Hauptgrund, warum Menschen nicht essen, ist, dass sie nicht das Geld haben, um zu essen. Mit anderen Worten: Ungleichheit ist der Motor des Hungers. Kehren wir noch einmal zu den Zahlen zurück:
- Über 700 Millionen Menschen auf der Welt leben von weniger als 2,15 Dollar pro Tag und können sich keine Lebensmittel leisten.
- 3,4 Milliarden Menschen leben von weniger als 5,50 Dollar pro Tag, was es unwahrscheinlich macht, dass sie sich Essen leisten können.
- Im Jahr 2023 betrug das Gesamtvermögen der Welt etwa 432 Billionen Dollar. Davon besaßen die obersten 1 % der erwachsenen Weltbevölkerung zusammen 47,5 % des weltweiten Gesamtvermögens, was 213,8 Billionen Dollar entspricht (durchschnittlich 2,7 Millionen Dollar pro Person). Die unteren 50 %, d. h. 4 Milliarden Menschen, besaßen weniger als 1 % des weltweiten Reichtums oder 4,5 Billionen Dollar (1.125 Dollar pro Person). Die gähnende Kluft der Vermögensungleichheit wird von Jahr zu Jahr größer.
- Menschen mit geringem Einkommen können es sich nicht leisten zu essen, weil die Inflation der Lebensmittel- und Kraftstoffpreise ihr Budget aufzehrt.
- Die Hungerraten sind bei Frauen höher als bei Männern, denn wenn in einem Haushalt weniger Lebensmittel vorhanden sind, essen gerade Frauen weniger. In Haushalten, die von Frauen getragen werden, sind die Hungerquoten höher.
- Obwohl indigene Völker weniger als 5 % der Weltbevölkerung ausmachen, stellen sie 15 % der extrem Armen und leiden häufiger an Hunger als andere Gemeinschaften.
Wie die FAO im Jahr 2021 feststellte, ist Armut nach wie vor die Hauptursache für die weltweite Ernährungsunsicherheit, da «Menschen die Mittel fehlen, um Zugang zu angemessenen Nahrungsmitteln zu erhalten, selbst wenn diese verfügbar sind».

Ein Newsletter wie dieser, das sich auf Statistiken stützt, kann nicht den Schaden erklären, den die Armut im menschlichen Geist anrichtet. Die Stumpfheit der Armut erzeugt eine Art Fatalismus, der es den Verarmten schwer macht, ihre Situation zu erfassen. Nackte Statistiken allein erklären den Verarmten nicht die Realität ihrer Situation, die sie bereits sehr gut kennen. Manchmal ist es die Poesie, die am besten in der Lage ist, die kapitalistische Struktur der Armut und ihre Auswirkungen auf den menschlichen Geist zu artikulieren.
Nicolás Guillén (1902-1989) war einer der größten kubanischen Dichter sowohl vor als auch nach der Revolution. Im Jahr 1931 veröffentlichte er in seiner Sammlung Sóngoro Cosongo das Gedicht «Caña» («Zuckerrohr»), benannt nach dem Klang der afrokubanischen Trommeln:
El negro
junto al cañaveral.
El yanqui
sobre el cañaveral.
La tierra
bajo el cañaveral.
¡Sangre
que se nos va!
Der Schwarze Mann
am Rande des Zuckerrohrfelds.
Der Yankee
über dem Zuckerrohrfeld.
Das Land
unter dem Zuckerrohrfeld.
Blut
das uns entrinnt!
Ist das nicht die Wahrheit?

Wenn man den Hunger beenden will, muss man die Armut beenden. Im Jahr 2021 hat die chinesische Bevölkerung die absolute Armut in ihrem Land beseitigt. Im November 2025 werden die Menschen im indischen Bundesstaat Kerala die extreme Armut beseitigt haben – ein Jahr vor dem gesetzten Zieldatum. Vietnam ist auf dem Weg zur Beseitigung der absoluten Armut. Dasselbe Ziel setzte sich Burkina Faso unter Thomas Sankara (1949-1987) und wurde unter dem neuen Führer des Landes, Hauptmann Ibrahim Traoré, wiederbelebt. Nicht durch Wohltätigkeit oder ausländische Hilfe, sondern durch Eigenständigkeit. Auf der Nationalen Konferenz der Komitees zur Verteidigung der Revolution am 4. April 1986 in Ouagadougou erklärte Sankara: «Es muss uns gelingen, mehr zu produzieren – wir müssen mehr produzieren, denn es ist ganz natürlich, dass derjenige, der uns ernährt, uns auch seinen Willen aufzwingt». Im Jahr 2023 griff Traoré den Geist Sankaras auf und sagte: «Unsere Vorgänger haben uns eines gelehrt: Ein Sklave, der nicht in der Lage ist, seinen eigenen Aufstand zu führen, verdient es nicht, bemitleidet zu werden. Wir bemitleiden uns nicht selbst und wir verlangen von niemandem, dass er uns bemitleidet. Das Volk von Burkina Faso hat beschlossen zu kämpfen, gegen den Terrorismus zu kämpfen, um seine Entwicklung wieder in Gang zu bringen». Das Volk von Burkina Faso, fügte er hinzu, stellt sich heute die folgenden Fragen:
Wir verstehen nicht, wie Afrika mit so viel Reichtum auf unserem Boden, mit großzügiger Natur, Wasser, Sonnenschein im Überfluss – wie Afrika heute der ärmste Kontinent ist. Afrika ist ein hungriger Kontinent. Und wie kommt es, dass Staatsoberhäupter überall auf der Welt betteln? Das sind die Fragen, die wir uns stellen, und wir haben noch keine Antworten darauf.
Aber sie werden bald Antworten haben, und wenn sie Antworten haben, werden sie neue Fragen stellen, und dann wird die Geschichte weitergehen.
Herzlichst,
Vijay