Der fünfundzwanzigste Newsletter (2025)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Jeden Morgen schlage ich die Zeitungen auf (jetzt auf Apps und nicht mehr in gedruckter Form) und lese von Gräueltaten, die überall auf der Welt begangen werden. Es gibt eine Inflation des Schmerzes, vom Völkermord im Gazastreifen über den Krieg im Sudan bis hin zu der chaotischen Gewalt in und um Myanmar, über die gar nicht berichtet wird. Diese Konflikte scheinen nie zu enden und können den zufälligen Beobachter, der sie nicht genau verfolgt, komplett verwirren.
Die derzeitige Kriegsphase im Sudan begann im April 2023, als sich die sudanesischen Streitkräfte (unter der Führung von General Abdel Fattah al-Burhan) gegen die Rapid Support Forces (unter der Führung von Kommandant Mohamed «Hemedti» Hamdan Dagalo) stellten. In Myanmar spitzte sich der Konflikt im Oktober 2023 zu, als das Militär (bekannt als Tatmadaw) mit einem erneuten Aufstand der Chinland Defence Force, der People’s Defence Force und der Three Brotherhood Alliance konfrontiert wurde, die bis Mai 2024 insgesamt etwas mehr als ein Drittel des Landes in ihre Gewalt gebracht hatten. Im Gazastreifen setzt das Dreierbündnis aus Israel, den Vereinigten Staaten und Europa derweil seine völkermörderische Vernichtung der Palästinenser*innen fort. Selbst die Zeitungen berichten nicht mehr über die Einzelheiten dieser Gräueltaten, ihre Leser*innen wollen die Geschichten über Tod und Zerstörung nicht mehr lesen. Der Wettstreit zwischen dem US-Präsidenten Donald Trump und seinem einstigen Handlanger Elon Musk sind leichter zu verdauen.

Während der Krieg den Planeten verwüstet, hungern mehr Menschen als im letzten Jahr – und das, obwohl die weltweite Nahrungsmittelproduktion gestiegen ist. Und eigentlich gibt es nicht viel, was den strukturellen Mord durch Hunger von dem konjunkturellen Mord durch Krieg trennt. Das Leid heult in den Eingeweiden des Globalen Südens. Aber dieses Leiden kommt nicht von ungefähr und ist nicht ohne Logik. Palästina, Sudan, Myanmar – alle haben eine Geschichte, die erzählt werden kann. Es ist die Schwäche des Geistes, die die Menschen dazu führen kann, verzweifelt die Hände in den Schoß legen und diese Gewalt dem Schicksal oder einem unerklärlichen menschlichen Verhalten zuschreiben. Eine solche Haltung erlaubt es den Moralphilosoph*innen, der Welt zu entfliehen und die Moral mit einer solchen mathematischen Exaktheit zu berechnen, dass sie kein Urteil mehr über sie fällen müssen.
Haben sie Angst, die Mörder unverblümt zu verurteilen, im Klartext? Unter diesen Mördern sind Waffenhändler, die behaupten, dass sie nur die Waffen verkaufen und damit ihre eigene Schuld leugnen. Diejenigen, die Kugeln verkaufen, werden nicht als gefährlicher angesehen als diejenigen, die Maissirup mit hohem Fructosegehalt verkaufen.

Eines der Ziele unseres Instituts und dieses Newsletters ist es, unablässig auf diese ungerechte Realität in der Welt hinweisen und zu zeigen, wo Widerstand – vor allem von Bewegungen – geleistet wird, wie Maßnahmen ergriffen werden, um diese Verletzungen, die der Menschheit zugefügt werden, zu heilen und zu verhindern. Wir hoffen, dass die Newsletter nützlich sind, dass ihr sie mit anderen teilt und zum Abonnement weiterempfehlen. Es kommt nicht oft vor, dass wir uns an euch wenden mit dieser Bitte, oder um Unterstützung bitten, um unser Institut am Leben zu erhalten.
Es gibt zwei Möglichkeiten, unserem Institut zu helfen: erstens mit materiellen Mitteln (z. B. Spenden, die sehr willkommen sind) und zweitens mit freiwilliger Arbeit durch Forschungs-, Übersetzungs-, Lektorats-,und Dolmetschfähigkeiten. Wenn ihr uns eine regelmäßige Spende zukommen lassen möchtet, könnt ihr dies hier tun oder an Tariro Takuva, die Leiterin unserer Betriebsabteilung, unter tariro@thetricontinental.org schreiben. Wir sind den Kollektiven, Freiwilligen und Übersetzer*innen dankbar, die unsere Arbeit regelmäßig in eine Reihe von Sprachen übersetzen – von Arabisch über Hindi, Spanisch, Portugiesisch, Mandarin, Italienisch, Französisch, Koreanisch, Deutsch und Rumänisch. Ihre Arbeit ermutigt uns zum Weitermachen. Wenn ihr unsere Veröffentlichungen in noch andere Sprachen übersetzen oder als Lektor*in arbeiten wollt, schreibt an celina@thetricontinental.org. Wer seine Forschungskompetenz zur Verfügung stellen kann, schreibt mir vijay@thetricontinental.org. Und wer daran interssiert ist, sich als Dolmetscher*in einzusetzen, schreibt an pilar@thetricontinental.org.

Neben dem wöchentlichen Newsletter gibt unser Institut vier weitere heraus – drei aus den drei Kontinenten, in denen wir arbeiten (Asien, Afrika und Lateinamerika) sowie einen, der von unseren europäischen Partner*innen des Zetkin-Forums erstellt wird – sowie ein Kunstbulletin.
(1) Tricontinental Pan Africa. Im monatlichen Newsletter von Tricontinental Pan Africa kommen Stimmen aus dem ganzen Kontinent zu einer Reihe von Themen zu Wort, von Marion Oumas Essay über die Sparmaßnahmen bei der Sozialfürsorge bis zu Blaise D. K. Tulos Gedanken zu den Wahlen in Ghana. Im jüngsten Newsletter schreibt der Musiker Seun Kuti über die Entstehung seines neuen Albums mit Egypt 80, Heavier Yet (Lays the Crownless Head), und über die Notwendigkeit, dass sich die Kunst mit sozialistischen Idealen auseinandersetzt:
In den letzten zehn Jahren meiner Karriere habe ich mich bemüht, Alben zu schreiben, die aus der Perspektive der Armen und der Arbeiterklasse sprechen. Musik kann zwar von den Freuden des Lebens handeln und den Hörer*innen erlauben, ihren Stress abzuschütteln, aber diese Art von Musik erzählt nicht die ganze Geschichte dessen, wer wir sind und was wir durchmachen. Zu viel Musik, in Form und Inhalt, schwelgt in den Annehmlichkeiten der Welt und kann wie eine Narkose wirken. Ich sage oft zu meinen Freund*innen: Wenn ein Außerirdischer auf die Erde käme und sich die afrikanische Mainstream-Kunst ansehen würde, würde er glauben, dass alles in Ordnung ist. Es könnte gut sein, dass der Außerirdische uns in einem positiven Licht wahrnimmt, denn auch wir Afrikaner*innen haben es satt, als ständig leidend angesehen zu werden, aber die Einschätzung des Außerirdischen über unser Leben wäre unvollständig und unwahr. Die Kunst muss in der Ehrlichkeit verwurzelt sein. Dieses Bedürfnis nach Ehrlichkeit hat mich ermutigt, in meiner Musik über Dinge zu sprechen, die vom Mainstream verborgen werden.
(2) Tricontinental Asia. Die vierzehntägigen Newsletter des Teams in Asien reichen von Elizabeth Alexanders Brief über den Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus in Südasien bis zu Atul Chandras Gedanken zum Frieden. Der Generalsekretär des nepalesischen Bauernverbands, Pramesh Pokharel, analysiert in einem aktuellen Newsletter die Gründe für die Verfassungskrise des Landes, die durch eine wachsende monarchistische Opposition und eine geschwächte Linke gekennzeichnet ist. «Die Welt schaut zu», schreibt Pramesh, «wie eine der jüngsten Republiken darum kämpft, diesen prekären Moment zu bewältigen». Er hofft, dass die Krise weitere theoretische Überlegungen zu Nepal auslösen, den Kampf der Ideen intensivieren und den Klassenkampf stärken wird.

(3) Tricontinental Nuestra América. Als unser Institut vor einem Jahrzehnt auf der Zweiten Internationalen «Dilemmas of Humanity»-Konferenz konzipiert wurde, beschlossen wir, Büros in Buenos Aires und São Paulo einzurichten, vor allem, weil wir sowohl im spanisch- und portugiesischsprachigen Lateinamerika als auch im größten Land des Kontinents, Brasilien, verwurzelt sein wollten, wo die Bewegung der Landlosen Arbeiter*innen (MST), die größte Massenbewegung der Region, zu Hause ist. In den letzten Jahren haben wir unsere Aktivitäten und unser Netzwerk von Mitarbeiter*innen erweitert und eine Agenda für ganz Nuestra América – «Unser Amerika» – entwickelt. Der erste Newsletter, verfasst von Miguel Enrique Stédile (Tricontinental) und Stephanie Weatherbee Brito (International Peoples’ Assembly), berichtet über die Vierte Internationale «Dilemmas of Humanity»-Konferenz, die im April 2025 in São Paulo stattfand. Ziel der Konferenz war es, zum Aufbau einer neuen Entwicklungstheorie für den Globalen Süden beizutragen, die, wie die Autor*innen schreiben, «in den Kämpfen des Volkes verwurzelt sein, an den jeweiligen Kontext angepasst sein und vor allem die nötige Kraft zu ihrer Verwirklichung aufbauen muss. Angesichts der zivilisatorischen Krise, in der wir leben, ist der Sozialismus keine ferne Utopie: Er ist der einzige Kompass, um in eine Zukunft zu navigieren, in der die Wirtschaft den Menschen und nicht dem Kapital dient».
(4) Zetkin Forum. Unser europäischer Außenposten hat seinen Sitz in Berlin und gibt einen monatlichen Newsletter auf Deutsch und Englisch heraus. Der jüngste Newsletter enthält einen Auszug aus der neuen Zeitschrift des Zetkin-Forums, Aufstieg des Faschismus; beide laden uns zur Konferenz Faschismus zurück in Europa? vom 20. bis 22. Juni nach Berlin ein. Wir sehen uns dort.
(5) Tricontinental Art Bulletin. In den letzten zehn Jahren hat unser Institut hart daran gearbeitet, den Kampf der Ideen mit dem Kampf der Gefühle zu verbinden, denn Kunst ist nicht nur Dekoration. Seit März 2024 gibt unsere Kunstabteilung ein monatliches Bulletin heraus, um der Kunst, die in der Tradition der nationalen Befreiung entstanden ist, Kontext zu geben. Diese Bulletins, die von der künstlerischen Leiterin unseres Instituts, Tings Chak, verfasst werden, basieren auf Interviews mit zeitgenössischen Künstler*innen und einem tiefen Einblick in die Archive revolutionärer Kunst aus aller Welt. Das jüngste Bulletin, «Poesie gegen den Faschismus», beginnt mit einer Diskussion über Olga Bergholz aus der Sowjetunion und schließt mit Sarojini Naidu aus Indien. «Wir, die wir noch nicht frei sind», schrieb Naidu, «grüßen dich, der du den Tyrannen besiegt hast».

Diese vier Newsletter – und mein Newsletter, den ihr jede Woche erhaltet – sollen zu einem Fahrplan beitragen, der es uns ermöglicht, diese ständigen raschen Veränderungen zu erfassen. Unsere Forscher*innen konzentrieren sich nicht nur auf die Gesamtheit – alle Elemente des menschlichen Lebens, von der Wirtschaft bis zur Kultur – sondern auch auf die Art und Weise, wie diese Elemente zusammenwirken, um diese Gesamtheit abzubilden. Kein Element darf isoliert betrachtet werden, als etwas, das nicht in einer integralen Beziehung zu den anderen steht.
In den zehn Jahren seit der Zweiten Internationalen «Dilemmas of Humanity»-Konferenz haben wir in beachtlichem Umfang Forschungsergebnisse vorgelegt, die in den Kämpfen unserer Zeit verwurzelt sind – wir haben die Konjunktur verfolgt, die Verschiebungen in der neokolonialen Struktur analysiert und uns in den Kampf der Ideen eingemischt, der unseren historischen Augenblick prägt. Es liegt noch viel Arbeit vor uns: Wir müssen unseren Bestand an Informationen über die Gegenwart weiter ausbauen, ihn zu einer Theorie der Gegenwart systematisieren, die zukünftige Möglichkeiten beleuchtet, und dies stets im Dialog mit den Kräften des gesellschaftlichen Wandels. Wir hoffen, dass ihr uns auch weiterhin auf diesem Weg begleitet.
Herzlichst,
Vijay