Der sechsundzwanzigste Newsletter (2025)

Liebe Freund*innen,
Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.
Die Zahl in der obigen Grafik, die auf Daten des Internationalen Währungsfonds beruht, ist keine Übertreibung. Trotz der wachsenden technologischen und industriellen Kapazitäten der Länder des Globalen Südens besitzen die Länder und Unternehmen des Globalen Nordens weiterhin Patente auf geistiges Eigentum an wichtigen Produkten und binden den Süden an unbefristete Patentzahlungen. Dazu gehören Patentzahlungen für Arzneimittel, digitale Technologien (z. B. Lizenzgebühren für Software und Telekommunikationsinfrastruktur) und landwirtschaftliche Güter (z. B. genetisch verändertes Saatgut, Düngemittel, Pestizide und Ausrüstung). Der wissenschaftliche und technologische Fortschritt hat sich im Globalen Süden in der Tat beschleunigt, und mehrere Länder – insbesondere in Asien – haben fortschrittliche Hochgeschwindigkeitszüge, grüne Technologien und Telekommunikationsinfrastrukturen entwickelt. Doch selbst in diesen Sektoren zahlen die meisten Länder nach wie vor hohe Pachtbeträge an Unternehmen des Globalen Nordens, die Patente auf Schlüsselkomponenten besitzen.
Es gibt fünf Sektoren, in denen das Ungleichgewicht bei patentbezogenen Zahlungen am größten ist (mit anderen Worten, in denen die Länder des Globalen Südens deutlich mehr an Lizenzgebühren zahlen als sie im Gegenzug erhalten):
1. Pharmazeutika. Arzneimittelpatente befinden sich größtenteils im Besitz von Unternehmen mit Sitz in Europa, Japan und den Vereinigten Staaten. Ein aktuelles Beispiel für den hohen Preis des Zugangs zu wichtigen medizinischen Technologien waren die Kosten für den Import von mRNA-Impfstoffen während der COVID-19-Pandemie. Mehrere Länder des Globalen Südens, wie Südafrika und Indien, sahen sich aufgrund von Patentbeschränkungen und begrenztem Technologietransfer mit Verzögerungen und überhöhten Kosten bei der Beschaffung von Impfstoffen konfrontiert. (Südafrika entschied sich schließlich für den Kauf von Impfstoffen von indischen Generikaherstellern wie Cipla und dem Serum Institute, wodurch das Land über drei Jahre hinweg rund 133 Millionen Dollar einsparen konnte.)
2. Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Jede Komponente von IKT – von Software und Hardware bis hin zu Halbleitern und Mobilfunknetzen – kostet die Länder des Globalen Südens ein Heidengeld. Das liegt nicht nur am Preis der physischen Produkte selbst, sondern auch an den hohen Lizenzgebühren für die zugrundeliegenden Technologien, die oft von exklusiven Patentpools (Konsortien von Unternehmen, die gemeinsam wesentliche Patente verwalten und lizenzieren) kontrolliert werden.
3. Industriemaschinerie und Fertigungstechnologien. Patente für wichtige CNC-Maschinen (automatisierte Instrumente, die in der Präzisionsfertigung eingesetzt werden) sowie für Robotik und andere Präzisionsgeräte (die in der Automobil-, Bergbau- und Textilbranche von entscheidender Bedeutung sind) befinden sich größtenteils im Besitz von Unternehmen des Globalen Nordens. Infolgedessen sind die Länder des Südens, die eine Industrialisierung anstreben, gezwungen, laufende Lizenzgebühren für imoprtierte Technologien zu zahlen, anstatt sie im eigenen Land zu entwickeln oder zu produzieren.
4. Landwirtschaftliche Biotechnologie. Eine Handvoll Unternehmen – wie DuPont, Monsanto (Bayer) und Syngenta – kontrollieren wichtige landwirtschaftliche Biotechnologien, darunter Düngemittel, gentechnisch verändertes Saatgut und Pestizide, die alle über kostspielige Lizenzvereinbarungen vertrieben werden. Diese Monopolkontrolle schränkt nicht nur die Möglichkeiten der Landwirte im Globalen Süden ein, Alternativen zu nutzen oder zu entwickeln – was die Abhängigkeit von ausländischen Firmen erhöht und die Produktionskosten in die Höhe treibt -, sondern untergräbt auch die Saatgut-Souveränität und trägt durch Monokulturen, den übermäßigen Einsatz chemischer Produkte und den Verlust der biologischen Vielfalt zur Umweltzerstörung bei.
5. Grüne Technologien. Schlüsselinnovationen bei Batteriesystemen, Solarzellen und Windturbinen sind durch Patente geschützt, die sich größtenteils im Besitz von Unternehmen des Globalen Nordens befinden, was einen Technologietransfer unmöglich macht. Infolgedessen müssen die Länder des Südens exorbitante Lizenzgebühren für die Übernahme dieser Technologien zahlen, was ihre Möglichkeiten zur unabhängigen Entwicklung nachhaltiger Energiesysteme einschränkt.
Diese Ungleichheiten sind größtenteils auf die monopolistische Kontrolle von Innovationen und geistigen Eigentumsrechten durch Unternehmen des Nordens zurückzuführen, die die Länder des Südens daran hindern, wettbewerbsfähige Alternativen aufzubauen. Der Mangel an Forschungs- und Entwicklungskapazitäten (F&E) in mittleren und kleinen Volkswirtschaften des Globalen Südens spielt eine enorme Rolle bei der Reproduktion dieser Ungleichheiten.
Dieser Mangel an F&E-Kapazitäten gründet auf einem kolonialen Erbe, das in vielen Ländern des Globalen Südens zu unterentwickelten Bildungseinrichtungen geführt hat, insbesondere in den fortgeschrittenen Wissenschaften. Hinzu kommen die neokolonialen Migrationsmuster, die mit sich bringen, dass talentierte Student*innen auf der Suche nach Karrierechancen in den Globalen Norden abwandern. Und schließlich ist es den Staaten des Globalen Südens nicht gelungen, den nötigen politischen Einfluss aufzubauen, um die internationalen Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums anzufechten, die den Ländern und Unternehmen des Globalen Nordens in früheren Epochen Vorteile verschafft haben.

1986 leitete der globale Norden – angeführt von den Vereinigten Staaten – die achte Runde des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (General Agreement on Trade and Tariffs, kurz GATT) ein, die auch als Uruguay-Runde bekannt ist. Die vorangegangenen sieben GATT-Runden hatten sich in erster Linie auf die Senkung der Zölle zwischen den atlantischen Staaten und Japan konzentriert, während die ehemals kolonialisierten Länder kaum beteiligt waren. Mit der Uruguay-Runde änderte sich jedoch die Tagesordnung: Im Gegenzug für den Zugang zu den Märkten des Nordens wurden die Staaten des Südens unter Druck gesetzt, die Schranken für Investitionen, Technologie und Dienstleistungen des Nordens abzubauen und ihre Gesetze zum Schutz des geistigen Eigentums zu überarbeiten. In dieser Zeit erwiesen sich die komparativen Vorteile der Monopolunternehmen des Nordens im Bereich der geistigen Eigentumsrechte und des Dienstleistungssektors als äußerst profitabel.

Tatsache ist, dass die Entwürfe für die Verhandlungen der Uruguay-Runde nicht von den Ländern stammten, die am Verhandlungstisch saßen, sondern von mysteriösen Gruppierungen wie der Intellectual Property Coalition und der Multilateral Trade Negotiations Coalition. Wie sich herausstellte, bestanden diese Koalitionen nicht aus Ländern, sondern aus den Lobbygruppen der wichtigsten Monopolunternehmen des Globalen Nordens wie DuPont, Monsanto und Pfizer, die darauf drängten, das Konzept des geistigen Eigentums zu überarbeiten. Vor der Uruguay-Runde konnten Patente nur auf das Verfahren erteilt werden, mit dem eine Innovation entwickelt wurde, so dass andere Personen, Firmen und Länder das gleiche Endergebnis mit einer anderen Methode erreichen konnten und Innovationen durch Reverse-Engineering möglich waren. Die Uruguay-Runde änderte diesen Grundsatz, indem sie festlegte, dass das Endprodukt selbst patentierbar sein sollte, so dass dem Patentinhaber unabhängig vom Verfahren, das zur Herstellung des Endprodukts verwendet wurde, eine Rente gewährt wird. Dies wurde als das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, kurz TRIPS-Abkommen) bekannt.
Zehn Länder des Globalen Südens (Argentinien, Brasilien, Kuba, Ägypten, Indien, Nicaragua, Nigeria, Peru, Tansania und Jugoslawien) trafen sich unter der Leitung von Brasilien und Indien, um die Gefahren der Uruguay-Runde zu diskutieren. Diese Zehnergruppe (G10) argumentierte, dass der neue Ansatz zu einer technologischen Hungersnot im Globalen Süden führen würde, mit minimalem Technologietransfer, außer zu hohen Kosten, und einem virtuellen Zusammenbruch der heimischen technologischen Entwicklung. Eine Zeitlang sah es so aus, als ob die G10 einige Zugeständnisse erreichen könnten, aber die Vereinigten Staaten übten Druck aus, und die Gruppe begann zu zerbrechen. 1989 gaben Brasilien und Indien nach, und die Gruppe löste sich auf.
Die Debatte konzentrierte sich nun auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union über Agrarsubventionen. Als die Uruguay-Runde 1994 abgeschlossen wurde, akzeptierte der Globale Süden das neue, fatale System des geistigen Eigentums und die daraus resultierenden Regeln. Das TRIPS-Abkommen wurde zum Kernstück der Welthandelsorganisation (WTO), die im darauf folgenden Jahr gegründet wurde.
Neun Jahre später bildeten Indien, Brasilien und Südafrika einen Block namens IBSA, der einen Verzicht auf geistige Eigentumsrechte und Zwangslizenzen für unentbehrliche Arzneimittel – insbesondere antiretrovirale Medikamente gegen HIV/AIDS – forderte. Ihre Bemühungen trugen dazu bei, dass die WTO am 30. August 2003 beschloss, bestimmte Verpflichtungen aus dem TRIPS-Übereinkommen vorübergehend zu lockern, so dass Länder ohne Produktionskapazitäten Generika im Rahmen von Zwangslizenzen einführen können. Damit wurde zwar die zugrunde liegende Logik des TRIPS-Abkommens (auch als TRIPS-Prinzip bekannt) nicht aufgehoben, aber eine begrenzte Erleichterung für bestimmte Arzneimittel erreicht. (Die 2003 von den Gates- und Clinton-Stiftungen gemachte Zusage, die Kosten für HIV/AIDS-Medikamente zu senken, war hingegen ein Versuch, den allgemeinen TRIPS-Rahmen zu bewahren.) Diese frühe Annäherung zwischen Brasilien, Indien und Südafrika wuchs schließlich 2009 nach dem Ausbruch der dritten Weltwirtschaftskrise im Jahr 2007 zum BRICS-Block heran. Obwohl die BRICS-Staaten wichtige Initiativen in den Bereichen Gesundheit und Technologie gestartet haben, ist es ihnen nicht gelungen, das TRIPS-Prinzip zu untergraben.

In den 1980er Jahren begannen die Regierungen des Globalen Südens, das Thema der sogenannten Biopiraterie auf den Plan zu bringen. Sie argumentierten, dass viele sogenannte moderne Innovationen – insbesondere in der Landwirtschaft und der Pharmazie – ihren Ursprung in traditionellen Wissenssystemen haben, die von Bäuer*innen und Heiler*innen in Afrika, Asien und Lateinamerika entwickelt wurden. Das Argument hat sich im Allgemeinen nicht durchgesetzt, obwohl in einigen wegweisenden Fällen – wie dem Versuch von W. R. Grace, das Neem-Blatt aus dem südlichen Asien zu patentieren, und dem Versuch von Phytopharm, das Hoodia zu entwickeln, das traditionell vom Volk der San im südlichen Afrika verwendet wird – der Vorwurf der Biopiraterie die Firmen dazu zwang, entweder ihre Patente aufzugeben oder ihre Gewinne zu teilen. Die Debatte über Biopiraterie führte zu einem Vertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), der Unternehmen dazu verpflichtet, die Herkunft der genetischen Ressourcen und des traditionellen Wissens, die in ihren Produkten verwendet werden, offen zu legen. Dieser Vertrag wird jedoch in der Praxis häufig unterlaufen. Abgesehen davon, dass er unterstreicht, dass diese Art der Offenlegung in der Vergangenheit nicht stattgefunden hat, hat er weder den indigenen Gemeinschaften noch den Ländern, in denen sie leben, wesentliche Vorteile gebracht. Tatsächlich steht das TRIPS-Abkommen über den WIPO-Bestimmungen und räumt Unternehmen einen erheblichen Spielraum bei der Nutzung traditionellen Wissens ein.
Wenn ich an die Biopiraterie und die Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums bei der Verbreitung grüner Technologie denke, lande ich in der Welt des mexikanischen Dichters und ehemaligen Botschafters Homero Aridjis, dessen Selva Ardiendo («Der flammende Dschungel») eine gute Warnung vor den Regeln sein könnte, die die Welt ersticken:
Der safrangelbe Himmel ähnelt tropischen Turnern.
Die tanzenden Palmen werden von gefräßigen Zungen geküsst.
Die Brüllaffen hüpfen von Baumkrone zu Baumkrone
Durch die Rauchschwaden hindurch suchen Scharen von Papageien
mit versengten Schwänzen nach der Sonne,
die sie heimlich beobachtet wie ein fauliges Auge.
Herzlichst,
Vijay