Wir stellen uns gegen die Kultur des Verfalls und gehen für eine Kultur der Menschlichkeit auf die Straße

Wir stellen uns gegen die Kultur des Verfalls und gehen für eine Kultur der Menschlichkeit auf die Straße

Der erste Newsletter (2024)

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Die letzten Monate des Jahres 2023 haben unsere Hoffnung erschüttert und uns in eine Art tödliche Traurigkeit gestürzt. Die eskalierende Gewalt Israels hat bis heute mehr als zwanzigtausend Palästinenser*innen getötet und ganze Generationen von Familien ausgelöscht. Schreckliche Bilder und Berichte aus Palästina haben alle Medien überschwemmt und in weiten Teilen der Weltbevölkerung ein tiefes Gefühl der Angst und Empörung ausgelöst. Gleichzeitig hat sich diese kollektive Trauer, wie es in der Geschichte immer wieder vorkommt, in kollektive Stärke verwandelt. Hunderte von Millionen Menschen auf der ganzen Welt sind Tag für Tag, Woche für Woche auf die Straße gegangen, um ihren vehementen Widerstand gegen Israels permanente Nakba gegen die Palästinenser*innen zum Ausdruck zu bringen. Neue Generationen auf der ganzen Welt sind durch den Kampf für die palästinensische Emanzipation und gegen die Heuchelei des NATO-G7-Blocks radikalisiert worden. Der letzte Rest an Glaubwürdigkeit, den die westliche «humanitäre» Rhetorik noch besaß, ging am 8. Dezember verloren, als der stellvertretende US-Botschafter bei den Vereinten Nationen, Robert Wood, im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seine einsame Hand hob und als einziger gegen eine Resolution stimmte, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderte, und damit das Vetorecht der USA nutzte, um die Maßnahme zu blockieren (es war das dritte Mal, dass die USA seit dem 7. Oktober eine Resolution blockierten, die einen Waffenstillstand forderte).

Südlich von Palästina, in Dubai (Vereinigte Arabische Emirate), trafen sich die Staaten der Welt vom 30. November bis 12. Dezember zur 28. Vertragsstaatenkonferenz (COP28) zum Klimawandel. Die offiziellen Treffen waren von transnationalen Energiekonzernen bestimmt, die an der Seite der ehemaligen Kolonialmächte feierliche Erklärungen abgaben, sich aber weigerten, sich zu einer Reduzierung der übermäßigen Kohlenstoffemissionen zu verpflichten. Keines der in Dubai getroffenen Abkommen hat Gesetzeskraft; es handelt sich lediglich um Richtwerte, zu deren Einhaltung die Länder nicht verpflichtet sind. «Wir haben die Ära der fossilen Brennstoffe nicht hinter uns gelassen», sagte der UN-Klimasekretär Simon Stiell. «Die COP28», so fuhr er fort, «ist der Anfang vom Ende».
Nach achtundzwanzig Jahren der Untätigkeit ist die Frage berechtigt, ob Stiell damit das Ende der Welt und nicht das Zeitalter der fossilen Brennstoffe meinte. Die erste Interpretation wird durch die Ankündigung des UN-Generalsekretärs António Guterres im Juli gestützt: «Die Ära der globalen Erwärmung ist vorbei. Das Zeitalter des globalen Siedens ist angebrochen». In der Expo City Dubai, wo die COP28 stattfand, waren keine Proteste möglich. Als die COP28 zu Ende ging, musste das Zentrum eilig geräumt werden, weil in diesem Wüstenhafen die Winter City eingerichtet werden musste, in der der Weihnachtsmann und seine Rentiere in Kunstschnee getaucht die Weihnachtseinkäufer zu ihren «lebenswichtigen Öko-Missionsaktivitäten» einladen. Weit entfernt von Dubai halten Demonstrant*innen Schilder mit der Aufschrift «Die Meere erheben sich und wir auch» hoch.

Diese Proteste für Palästina und für den Planeten richten sich an die moderne Zivilisation, die vom Verfall durchdrungen ist. Die Alltäglichkeit der sozialen Ungleichheit und die Normalisierung des Krieges verleiten zu der Annahme, dass massenhaftes Leid und Tod unüberwindbar und akzeptabel sind. Nicht nur die politischen Führungspersönlichkeiten sprechen mit eiserner Stimme, sondern auch die Personen, die Teile unserer Kultur produzieren, sei es in der Unterhaltungs- oder Bildungsindustrie. Begriffe wie Freiheit und Gerechtigkeit werden als Abstraktionen behandelt, die man hier und da in den Mund nehmen kann, verstümmelt von Leuten, die im Namen dieser Werte Krieg führen. In der Politik, in der Unterhaltung, in der Bildung und in anderen Bereichen des modernen Lebens werden diese Begriffe aus der Geschichte herausgelöst und als Produkte behandelt, so wie die von den Arbeitern produzierten Objekte aus ihrem Kontext herausgelöst und als Handelsware behandelt werden. Freiheit und Gerechtigkeit sind keine Abstraktionen, sondern Ideen und Praktiken, die aus den mutigen Kämpfen von Hunderten von Millionen Menschen im Laufe der Geschichte hervorgegangen sind, einfachen Menschen, die sich für das Wohl künftiger Generationen geopfert haben. Sie haben diese Worte nicht für Lehrbücher und Gerichte geschaffen, sondern für uns, damit wir ihre Bedeutung in unseren eigenen Kämpfen weiter verfeinern und erweitern und sie in die Realität umsetzen können.

Wir protestieren, um diesen Begriffen, Freiheit und Gerechtigkeit, Inhalt zu geben und sie auf ihr authentisches Narrativ zurückzuführen. Wir begreifen mit großer Freude, dass die Menschheit nur durch die Praxis erlöst werden kann, das, was Karl Marx als «freie, bewusste Tätigkeit» definiert hat, die es uns ermöglicht, die uns umgebende Wirklichkeit zu schaffen und zu gestalten. Wenn man für seine Überzeugungen eintritt, geht es nicht nur darum, eine Politik zu ändern, sei es, um einen Krieg zu beenden oder die soziale Ungleichheit zu verringern; es geht darum, die Kultur des Verfalls radikal abzulehnen und die Kultur einer möglichen Menschheit zu bejahen. Praxis findet nicht als edle Tätigkeit des Einzelnen statt, als einsame Mahnwache aus moralischen Gründen, die so abstrakt sind wie die ahistorische Verwendung der Begriffe Freiheit und Gerechtigkeit. Die Praxis kann nur dann eine neue Kultur einleiten, wenn sie kollektiv stattfindet und auf ihrem Weg eine freudige Reihe neuer Beziehungen und Gewissheiten hervorbringt.

Das Ziel von Tricontinental: Institute for Social Research ist es nicht, Archivar*in einer verfallenden Zivilisation zu sein, sondern Teil der großen Strömung der Menschheit, die durch ihre Praxis der Welt echte Hoffnung zurückgibt. Unser Institut, das im März 2018 gegründet wurde, hat einen beachtlichen Bestand an Arbeiten aufgebaut, darunter mehr als siebzig monatliche Dossiers. Letzten Monat habt ihr unser einundsiebzigstes Dossier erhalten: Culture as a Weapon of Struggle: The Medu Art Ensemble and the liberation of Southern Africa («Kultur als Waffe im Kampf: Das Medu-Kunstensemble und die südafrikanische Befreiung»), das die Notwendigkeit einer in der Praxis verwurzelten Kulturproduktion feierte und hervorhob. Die Effizienz des Teams von Tricontinental: Institute for Social Research ist bemerkenswert. Sie arbeiten Tag und Nacht, um euch die Art von Material zu liefern, die in unserem globalen Dialog ansonsten nicht vorkommt. Für das kommende Jahr planen wir, zwölf Dossiers zu folgenden Themen zu präsentieren

  1. Die neue Stimmung im globalen Süden und die Umwälzung der globalen Ordnung, in Zusammenarbeit mit Global South Insights.
  2. Die Volkswissenschaftsbewegung in Karnataka, Indien.
  3. Nepal und die Millennium Challenge Corporation, in Zusammenarbeit mit der Zeitschrift Bampanth («Die Linke»).
  4. Vierzig Jahre Bewegung der landlosen Arbeiter*innen (MST) in Brasilien.
  5. Nordostasien und der neue Kalte Krieg, in Zusammenarbeit mit dem International Strategy Centre und No Cold War.
  6. Der Kampf der Kongoles*innen um die Kontrolle ihrer eigenen Ressourcen, in Zusammenarbeit mit dem Centre Culturel Andrée Blouin.
  7. Multipolarität und lateinamerikanische Entwicklungsmodelle.
  8. Die Kulturpolitik der Telangana-Bewegung.
  9. Warum die Rechte in Lateinamerika auf dem Vormarsch ist.
  10. Die Kämpfe der landlosen Arbeiter*innen in Tansania, in Zusammenarbeit mit der Bewegung der Landarbeiter*innen (MVIWATA).
  11. Die Korruption transnationaler Unternehmen in Afrika.
  12. Die Situation der Arbeiterklasse in Lateinamerika.

Euer Feedback ist uns sehr wichtig.

Herzlichst, 

Vijay