Warum ich an das glaube, was ich über die chinesische Revolution glaube

Der zweite Newsletter (2024)

Liu Hongjie (China), Skyline, 2021.

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Ende letzten Jahres schickte mir ein Kollege einen Brief, in dem er sich über einige meiner Texte über China beklagte, insbesondere über den letzten Newsletter von 2023. Dieser Newsletter ist meine Antwort an ihn.

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Die Situation in China sorgt unter Linkenfür große Verunsicherung. Ich freue mich, dass du mich direkt auf die Frage des chinesischen Sozialismus angesprochen hast.

Wir leben in sehr gefährlichen Zeiten, wie du weißt. Die zunehmenden Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und anderen mächtigen Nationen bedrohen seit 1991 den Planeten, heute mehr als vielleicht jemals zuvor. Der Krieg in der Ukraine und der Völkermord im Gazastreifen sind ein Beispiel für die Gefahren, die uns entgegenstehen. Inzwischen befürchte ich, dass die USA den Iran in den Konflikt hineinzuziehen versuchen. Israel droht, die Spannungen mit der Hisbollah im Libanon zu verschärfen und eine Handlung von Teheran zu forcieren, die es den USA erlauben würde, den Iran zu bombardieren. Der Neue Kalte Krieg gegen China wird diese Konflikte auf eine neue Ebene heben. Taiwan funktioniert bereits als Druckmittel dafür. Ich hoffe, dass sich nüchterne Gemüter durchsetzen werden.

Wie du weißt, entstehen alle sozialistischen Projekte im Prozess des Klassenkampfes und durch die Entwicklung der Produktivkräfte. Nicht zuletzt auch China. Du erinnerst dich an Bill Hintons Buch The Great Reversal: The Privatisation of China, 1978-1989, erschienen 1990. Etwa ein Jahr vor seinem Tod im Jahr 2004 war ich mit Bill in Concord, Massachusetts, und habe mit ihm mehrere Gespräche über China geführt. Niemand in den USA kannte China so gut wie Bill und seine gesamte Familie (einschließlich seiner Schwester Joan und ihres Mannes Sid Engst, die die Milchwirtschaft in China modernisierten) und natürlich ihre Freund*innen Isabel Crook, Edgar Snow, Helen Foster Snow und später die Übersetzerin Joan Pinkham, die Tochter von Harry Dexter White.

In den 1990er und frühen 2000er Jahren herrschte große Besorgnis über China. Als ich das Land Jahrzehnte zuvor besuchte, war ich von der Armut in den ländlichen Gebieten schockiert. Aber gleichzeitig war ich von der Würde eines Volkes beeindruckt, das sich von der großen Geschichte der Kämpfe inspirieren ließ, die zur chinesischen Revolution von 1949 geführt hatten, und das wusste, dass es ein sozialistisches Projekt am aufbauen war. Bill hielt am Maoismus fest und war sich der Widersprüche des sozialistischen Projekts bewusst, wie er in Through a Glass Darkly: U.S. Views of the Chinese Revolution beschrieb.

Die Ungleichheit war in den Jahren von Jiang Zemin (1993-2003) und Hu Jintao (2003-2013) auf ein hohes Niveau gestiegen. In Poorer Nations: A Possible History of the Global South (2013) schrieb ich mit einem gewissen Pessimismus über die chinesische Revolution, obwohl ich über die Schwierigkeiten des Aufbaus des Sozialismus in einem armen Land (dem einzigen Ort nach Russland, an dem dies versucht wurde, da die Revolutionen im Westen gescheitert waren)  Bescheid wusste. Einige Jahre später las ich Ezra Vogels großartige Einschätzung zu Deng, Deng Xiaoping and the Transformation of China (2011), die Dengs Entscheidungen von 1978 in den Kontext des gesamten revolutionären Prozesses stellt. Dieses Buch hat mir ein besseres Verständnis für die Reformbemühungen Dengs vermittelt. Eine der wichtigsten Lehren, die ich daraus zog, war, dass Deng der Stagnation der Wirtschaft entgegentreten und dem Markt erlauben musste, die Produktivkräfte voranzutreiben. Andernfalls war es klar, dass China – ein armes, rückständiges Land – in einen Sozialismus der Verzweiflung abgleiten würde. Es musste einen neuen Weg einschlagen. Zwangsläufig wendeten sich die Deng-Reformen den Marktkräften zu und öffneten die Tür zu einer sehr gefährlichen Situation. Bills Pessimismus war eine Antwort auf diese Realität.

Sheyang Farmers Painting Institute (Jiangsu, China), Teil des «Farmers Painting»-Projektes, 2017.

In den später 1990er Jahre begannen – auch in den Zeitschriften der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) – Diskussionen darüber, die steigenden Raten von Ungleichheit und Armut durch Massenaktionen zu bekämpfen. Auf dem fünften Plenum des 16. Parteikongresses der KPCh im Oktober 2005 kündigte die Partei eine «große historische Mission» zum «Aufbau eines neuen sozialistischen ländlichen Raums» an, wobei der neue Begriff «drei ländliche Bereiche» für die Landwirtschaft, die Bauernschaft und die ländlichen Gebiete verwendet wurde. Diese Mission zielte darauf ab, die ländliche Infrastruktur durch staatliche Investitionen zu verbessern, ein kostenloses und obligatorisches Bildungsangebot bereitzustellen und kooperative medizinische Dienste zu entwickeln, während man sich von den Marktreformen im medizinischen Sektor zurückzog, wobei letztere ab 2009 zu einer landesweiten Politik in ganz China wurden. Interessant war für mich, dass die Kampagne nicht bürokratisch, sondern massenhaft durchgeführt wurde und Tausende von KPCh-Kadern an der Umsetzung dieser Mission beteiligt waren. Dies war ein Vorläufer der Kampagne zur Beseitigung der Armut, die ein Jahrzehnt später folgen sollte.

Bei der Durchführung dieser Mission war ich sehr daran interessiert, dass Orte mit «roten Ressourcen» in den Mittelpunkt des Interesses gerückt wurden (z. B. Hailufeng in der Provinz Guangdong, dem Zentrum des ersten ländlichen Sowjets in China). Es ist bezeichnend, dass Wissenschaftler*innen im Westen diese Veränderungen nicht beachtet haben. Sie waren auf die Pazifikküste des Landes fixiert, statt die Bedingungen im ländlichen Inneren Chinas zu untersuchen. Zu den wenigen Ausnahmen gehören aufrichtige Persönlichkeiten wie Professorin Elizabeth Perry und Professorin Minzi Su (die Autorin von China’s Rural Development Policy: Exploring the New Socialist Countryside, 2009), die von den meisten China-Kommentator*innen ignoriert werden.

Dieser Vorstoß für einen neuen sozialistischen ländlichen Raum belebte die KPCh und eine stillschweigende Bewegung, die sich gegen die reinen Kräfte des freien Marktes richtete, wodurch die Dynamik entstand, die zur Wahl Xi Jinpings zum Parteichef Ende 2012 führte. Xis Sorge um die ländlichen Gebiete des Landes rührt daher, dass er einen Teil seiner Jugend im unterentwickelten Nordwesten Chinas verbracht hat und in den späten 1980er Jahren Parteisekretär der Präfektur Ningde war, die damals zu den ärmsten Regionen der Provinz Fujian gehörte. Ein weithin anerkanntes Element von Xis Führung in dieser Zeit ist, dass er dazu beigetragen hat, die Armut in diesem Gebiet zu verringern und die sozialen Indikatoren zu verbessern, so dass die Jugend weniger geneigt war, in die Städte abzuwandern.

Musste das Wachstum Chinas auf Kosten der Natur gehen? Im Jahr 2005 stellte Xi in Huzhou (Provinz Zhejiang) die «Zwei-Berge-Theorie» auf, die besagt, dass wirtschaftliche und ökologische Entwicklung Hand in Hand gehen müssen. Ein Beleg dafür ist die Tatsache, dass die Feinstaubbelastung in China von 2013 bis 2020 um 39,6 % gesunken und die durchschnittliche Lebenserwartung um zwei Jahre gestiegen ist. Im Jahr 2023 kündigte Xi eine neue ökologische Strategie zum Aufbau eines «schönen Chinas» an, die auch einen Umweltplan für den ländlichen Raum umfasst.

Mir sind einige deiner Behauptungen aufgefallen, insbesondere die Aussage, dass «die erzwungene Rückkehr aufs Land jetzt Staatspolitik ist», wobei meiner Meinung nach besonders zu bedenken ist, dass es Teil der umfassenderen «neuen sozialistischen Landpolitik» ist. Es stimmt, dass Präsident Xi seit 2017 über die Notwendigkeit einer Wiederbelebung des ländlichen Raums spricht, und es stimmt auch, dass verschiedene Provinzen (z. B. Guangdong) Aktionspläne für Hochschulabsolvent*innen haben, die aufs Land gehen und daran mitwirken sollen, den ländlichen Raum genauso attraktiv zu machen wie den städtischen. Dies geschieht jedoch nicht mit Gewalt, sondern durch innovative Programme.

Zhang Hailong (China), Horses and Herdsmen Series 3, 2022.

An vorderster Front dieser Programme steht die Jugend, von der viele zu den drei Millionen Kadern gehörten, die im Rahmen der Politik zur Beseitigung der extremen Armut in die Dörfer gingen (es ist erwähnenswert, dass 1.800 Kader bei der Durchführung dieser Aufgabe starben). Wie Mao Zedong weiß auch Xi sehr genau, wie wichtig es ist, dass die Parteimitglieder angesichts der riesigen ländlichen Gebiete Chinas die Realität auf dem Lande kennenlernen; er wurde während der Kulturrevolution selbst in den ländlichen Nordwesten Chinas geschickt. Über diese Erfahrung schrieb Xi 2002: «Im Alter von 15 Jahren kam ich verwirrt und verloren in das Dorf Liangjiahe. Im Alter von 22 Jahren verließ ich es mit einem klaren Lebensziel und voller Zuversicht». Etwas von dieser Einstellung findet sich in der chinesischen Politik wieder. Ist es schlecht, wenn Parteimitglieder, von denen viele vielleicht im Staatsapparat arbeiten, Zeit auf dem Land verbringen? Nicht, wenn man will, dass sie die chinesische Realität besser verstehen.

Ich war in den letzten zehn Jahren mehrmals in China und habe sowohl ländliche als auch städtische Gebiete ausgiebig bereist. Die von Xi verfolgte Strategie der doppelten Zirkulation (angetrieben vom Konzept der «neuen sozialistischen Landpolitik») ist von Interesse, und ich habe mit einer Reihe von Wissenschaftler*innen zusammengearbeitet, um ein detailliertes, empirisches Verständnis des chinesischen Projekts innerhalb und durch ihre eigenen Kategorien zu entwickeln. Das ist die Grundlage unserer Arbeit, die zum Teil in Wenhua Zongheng und zum Teil in der Studie des Tricontinental: Institute for Social Research über die Beseitigung der extremen Armut in China veröffentlicht wurde. Ist das Propaganda? Ich hoffe nicht. Ich hoffe, dass wir immer besser in der Lage sind, eine theoretische Bewertung der chinesischen Revolution vorzunehmen, während sie voranschreitet. Ist die Revolution perfekt? Ganz und gar nicht. Aber sie erfordert mehr Verständnis als die Klischees, die im Westen in Bezug auf Chi reichlich vorhanden sind.

Abdurkerim Nasirdin (China), Young Painter, 1995.

Nehmen wir zum Beispiel die Vorwürfe der Unterdrückung der chinesischen Muslime (25 Millionen oder 1,8 % der Gesamtbevölkerung). Ich erinnere mich daran, dass ich in den 2000er Jahren in Zentralasien war, als Al-Qaida und die Taliban ernsthaften Einfluss auf die Region ausübten, unter anderem durch die Vertretungen der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU). Die IMU verfolgte das Ziel, die gesamte Region Xinjiang zu übernehmen, weshalb einige Uigur*innen zur Führung von Juma Namangani überliefen.

Die Islamische Partei Turkistans, angeführt von Al-Qaida-nahen Personen (wie Abdul Haq al-Turkistani, der Mitglied der Schura von Al-Qaida war), entstand aus diesen Kontakten. Bombenanschläge auf öffentliche Einrichtungen wurden alltäglich, auch in der autonomen Region Xinjiang Uygur. Abdul Shakoor al-Turkistani, der 2010 Abdul Haq (dem Urheber der Bombenanschläge in Peking während der Olympischen Spiele 2008) ablöste, war für die Anschläge in Kashgar 2008 und 2011 sowie für den Anschlag in Hotan 2011 verantwortlich. Im Jahr 2013 zog diese Gruppe nach Syrien, wo ich einige von ihnen an der türkisch-syrischen Grenze traf. Sie sind jetzt in Idlib ansässig und ein wichtiger Bestandteil der dortigen Al-Qaida-Formation. Dies ist ihr charakteristisches Merkmal: kein bloßer türkischer Nationalismus, sondern islamischer Fundamentalismus der al-Qaida-Variante.

Damals gab es mehrere Möglichkeiten, gegen die Aufständischen vorzugehen. Die USA und ihre Verbündeten in der Region bevorzugten die Anwendung von Gewalt, u. a. durch Angriffe auf Gebiete, die im Verdacht standen, von diesen Aufständischen beherrscht zu werden, und deren massenhafte Verhaftung, wobei einige von ihnen in von den USA betriebenen Gefängnissen landeten. Viele Mitglieder dieser Gruppe, darunter Abdul Haq und Abdul Shakoor, wurden durch US-Drohnenangriffe an der afghanisch-pakistanischen Grenze getötet. Interessanterweise hat China diesen Ansatz nicht verfolgt. Vor einigen Jahren interviewte ich ehemalige Mitglieder der Libyschen Islamischen Kampfgruppe, die sich von der Gewalt und der Ideologie von al-Qaida abgewandt hatten. Ihre Gruppe, die umstrittene Quilliam Foundation (mit Sitz in London), wurde von Leuten wie Noman Benotman geleitet, die den Ansatz der ägyptischen «Reue»- und der algerischen «Versöhnungs»-Projekte verfolgten. Diese Programme verfolgten im Wesentlichen sowohl kognitive als auch verhaltensorientierte Ansätze zur Deradikalisierung (Änderung der Ideologie bzw. Beendigung der Gewalt). Die ehemaligen libyschen Dschihadisten wollten diesen Ansatz sowohl in Libyen (was nicht gelang) als auch im Westen (wohin viele von ihnen umgesiedelt wurden) anwenden, anstatt die Alternative der gezielten Gewalt und der Massenverhaftungen zu wählen. Sie wurden abgewiesen (außer in Deutschland, wo 2012 das Hayat-Programm eingerichtet wurde). Das Problem mit dem gewalttätigen Ansatz, für den sich der Westen stattdessen entschied, besteht darin, dass alle Muslim*innen dämonisiert werden, anstatt lediglich diejenigen zu deradikalisieren, die in eine toxische Politik hineingezogen wurden.

Im Falle Chinas versuchte die Regierung – statt eines Frontal-Krieges gegen die radikalen Gruppen in Xinjiang und die Gesellschaft, in der sie lebten, und statt einer Dämonisierung aller Muslim*innen – Formen der Deradikalisierung durchzuführen. Es ist nützlich, sich an das Treffen zwischen der Chinesischen Islamischen Vereinigung und der KPCh in Peking im Jahr 2019 zu erinnern, das auf dem «Fünfjahresplan für die weitere Sinisierung des Islams» aufbaute und versuchte, den Islam mit dem Sozialismus vereinbar zu machen. Das ist ein interessantes Projekt, auch wenn es ihm an Klarheit mangelt. Den Islam chinesisch zu machen ist der eine Teil des Projekts; der andere besteht darin, die Praxis des Islam mit dem sozialistischen Projekt in Einklang zu bringen. Letzteres ist ein vernünftiger soziologischer Ansatz für die moderne Welt: die Religion – im weiteren Sinne – mit modernen Werten und, im Falle Chinas, mit «sozialistischen Grundwerten» (wie der Bekämpfung der Geschlechterdiskriminierung) in Einklang zu bringen.

Liu Xiaodong (China), Belief, 2012.

Ersteres ist schwieriger zu verstehen, und ich habe es nicht wirklich begriffen. Wenn es um die Idee geht, dass Religion mit modernen Werten, insbesondere sozialistischen Werten, in Einklang gebracht werden muss, bin ich voll und ganz dabei. Wie soll das geschehen? Soll man beispielsweise bestimmte Praktiken verbieten (wie das Kopftuch in Frankreich), oder soll man einen Prozess der Debatte und Diskussion mit den Führer*innen der Religionsgemeinschaften (die oft die konservativsten sind) beginnen? Was soll man tun, wenn man mit einem Aufstand konfrontiert ist, der seine Wurzeln außerhalb des Landes hat, wie in Afghanistan, Usbekistan und sogar Syrien, und nicht innerhalb des Landes, wie bei den Widersprüchen in Xinjiang? Das sind alles drängende Probleme, aber die lächerlichen Behauptungen über Völkermord und so weiter, die vom US-Außenministerium und seinen Kumpanen verbreitet werden – auch von zwielichtigen Leuten, die für noch zwielichtigere «Denkfabriken» in der Nähe des CIA-Hauptquartiers in Langley, Virginia, arbeiten –, dürfen unsere Diskussion innerhalb der Linken nicht bestimmen. Wir müssen die Dinge besser verstehen, um nicht in die Biden-Netanjahu-Debatte zu verfallen, die auf die Frage hinausläuft: »Verurteilen Sie die Hamas?« 

Tang Xiaohe and Cheng Li (China), Mother on the Construction Site, 1984.

In Deiner E-Mail schreibst Du, dass «es keine Frage ist, dass sich der Lebensstandard der einfachen Chines[*inn]en, insbesondere der Stadtbewohner[*innen], in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert hat». Tatsächlich zeigen alle Daten – und meine eigenen Reisen –, dass dies nicht nur «insbesondere» für Stadtbewohner*innen gilt, sondern im ganzen Land und zunehmend auch in den Gebieten im äußersten Westen und im äußersten Norden. Die Daten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zeigen beispielsweise, dass Chinas jährliches Reallohnwachstum bei 4,7 % lag, weit über dem anderer Länder des globalen Südens und sicherlich höher als in Indien (1,3 %) und den USA (0,3 %). In nur acht Jahren, von 2013 bis 2021, stieg das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der 498 Millionen Landbewohner*innen Chinas um mehr als 67 %, während das der 914 Millionen Stadtbewohner*innen um 51 % zunahm. Gleichzeitig verringerte sich die Kluft zwischen dem verfügbaren Einkommen in ländlichen und städtischen Gebieten in diesem Zeitraum um 5 %, und die Wachstumsrate des verfügbaren Einkommens der Landbewohner*innen übertraf die der Stadtbewohner*innen in zwölf aufeinanderfolgenden Jahren (2009-2021).

Zwischen 2012 und 2020 wurden durch gezielte Armutsbekämpfung 98,99 Millionen Menschen in ländlichen Gebieten aus der extremen Armut befreit und jede einzelne Familie, die unter extremer Armut leidet, Unterstützung erhielt. Im Rahmen dieses innovativen Prozesses kombinierte die KPCh die Ausbildung und Entwicklung von Kadern an der Basis mit digitaler Technologie und verbesserte so die modernen Governance-Fähigkeiten auf lokaler Ebene und ermöglichte es Parteimitgliedern und Kadern, den Menschen genauer und effizienter zu dienen.

Wenn man zum Vergleich den Gini-Index heranzieht, der die öffentlichen Dienstleistungen nicht berücksichtigt (und Dinge wie subventionierte Mieten für ländliche Wohnungen nicht einbezieht), ist die Einkommensungleichheit in Indien 24 % höher als in China.

Diejenigen, die sich mit den Daten über die Ungleichheit in China befassen, konzentrieren sich oft auf die Milliardär*innen in China. Das wurde auch in deiner E-Mail deutlich, in der du sagst, dass China von staatlich subventionierten Millionär*innen und sogar Milliardär*innen überschwemmt ist. In der Tat gibt es eine wachsende Klasse von «Super-Bourgeois, von denen viele im Ausland investieren». Sicherlich hat die Reformära die sozialen Bedingungen dafür geschaffen, dass einige Menschen reich werden konnten. Diese Zahl ist jedoch rückläufig: Im Jahr 2023 waren von den 2.640 Milliardär*innen in der Welt etwa 562 in China, gegenüber 607 im Vorjahr, und die letzten Kongresse der KPCh haben es sich zur Priorität gemacht, den Motor dieses Milliardär*innen-Produktionsprozesses umzukehren. Von den 2.296 Delegierten des 20. Nationalkongresses waren nur 18 Führungskräfte aus der Privatwirtschaft, die meisten von ihnen aus kleinen und mittleren Unternehmen, weniger als die 34, die 2012 am 18. Nationakongress teilnahmen.

Wie du vielleicht weißt, forderte Xi 2021 eine Politik des «gemeinsamen Wohlstands» (ein Begriff, den die KPCh erstmals 1953 verwendete), was viele dieser Milliardär*innen alarmierte. Seitdem versuchen sie, sich aus dem Staub zu machen («im Ausland zu investieren», wie du sagst). In China gibt es jedoch sehr strenge Kapitalkontrollen, so dass nur 50.000 Dollar ins Ausland überwiesen werden dürfen. In den letzten Jahren wurde eine Reihe von illegalen Geschäften angekurbelt, um den Reichen zu helfen, ihr Geld ins Ausland zu schaffen, unter anderem über die durchlässigere Region Hongkong. Aber der Staat ist dagegen vorgegangen, ebenso wie gegen die Korruption. Im August 2023 verhaftete die Polizei die Leiter einer Einwanderungsfirma in Shanghai, die illegale Devisentransfers ermöglichte. Der Druck auf Jack Ma (Fintech-Unternehmen Ant Group), Hui Ka Yan (Immobilienentwickler Evergrande) und Bao Fan (Investmentbank Renaissance Holdings) ist bezeichnend für die derzeitige Haltung der KPCh gegenüber Milliardär*innen.

Du schreibst, dass sich der Lebensstandard in China zwar verbessert hat, aber «der Sozialismus in diesem Land nicht auf der Tagesordnung steht». Wie konnte China ohne die sozialistische Agenda der KPCh die extreme Armut beseitigen und die Ungleichheit verringern, insbesondere in Zeiten wachsender globaler Ungleichheit, während die sozialdemokratische Agenda im kapitalistischen Norden und in großen Teilen des Südens nicht annähernd an diese Erfolge heranreicht? Es ist hilfreich, dass die großen Banken in China unter staatlicher Kontrolle stehen, sodass das Großkapital effizient zu Lösung sozialer Probleme verwaltet werden kann, wie wir während der COVID-19-Pandemie gesehen haben. Der Klassenkampf geht in China natürlich weiter, und dieser Klassenkampf wirkt sich auf die KPCh (mit ihrer außerordentlichen Mitgliederzahl von 98 Millionen) aus.

Wang Zihua (China), When the Wind Blows Through the Summer, 2022.

Ich habe versucht, nicht nur einige Fakten zu liefern, um unsere Diskussion zu bereichern, sondern sie auch in die Theorie des Sozialismus einzufügen, was ich für notwendig halte. Nach dieser Theorie ist der Sozialismus kein Ereignis, sondern ein Prozess, und dieser Prozess – der im Klassenkampf wurzeltt – verläuft im Zickzack, einem Hin und Her, das oft durch die dringende Notwendigkeit, die Produktivkräfte in den armen Ländern zu steigern, noch verstärkt wird. Es ist wichtig, solche Prozesse zu begleiten, anstatt einen allwissenden Standpunkt einzunehmen.

Herzlichst,

Vijay