Sie wissen jetzt, was echte Bombenangriffe bedeuten

Der einundvierzigste Newsletter (2024)

Ayman Baalbaki (Libanon), Ohne Titel, 2020.

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Am 1. Oktober gab der US-Abgeordnete Michael McCaul, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Repräsentantenhauses, eine Erklärung ab, in der er US-Präsident Joe Biden aufforderte, «maximalen Druck auf den Iran und seine Stellvertreter auszuüben, anstatt Israel zu einem Waffenstillstand zu drängen. Wir müssen die Waffenlieferungen an Israel beschleunigen, die diese Regierung monatelang verzögert hat, einschließlich 2.000-Pfund-Bomben, um sicherzustellen, dass Israel über alle Mittel verfügt, um diese Bedrohungen abzuwehren». McCauls kriegerischer Aufruf erfolgte, nachdem Israel am 27. September über achtzig 2.000-Pfund-Bomben und andere Munition aus US-Produktion eingesetzt hatte, um ein Wohnviertel in Beirut zu bombardieren und neben Hunderten von Zivilisten auch Sayyed Hassan Nasrallah (1960-2024), den Führer der Hisbollah, zu töten. Bei diesem einen Bombenangriff warf Israel mehr dieser «Bunkerbuster»-Bomben ab als das US-Militär bei seiner Invasion des Irak 2003.

Ein ehemaliger US-Flieger, Commander Graham Scarbro von der US-Marine, hat die Fakten der israelischen Angriffe für das US Naval Institute untersucht. In einem sehr aufschlussreichen Artikel stellt Scarbro fest, dass Israel «in den letzten Jahrzehnten bei Kollateralschäden offenbar einen deutlich anderen Ansatz verfolgt hat als die US-Streitkräfte». Die USA haben sich zwar nie sonderlich um zivile Opfer oder «Kollateralschäden» gekümmert, aber es ist bemerkenswert, dass selbst hochrangige US-Militärs die Augenbrauen hochgezogen haben angesichts des Ausmaßes der israelischen Missachtung von Menschenleben. Israels Militär, schreibt Scarbro, «scheint eine höhere Schwelle für Kollateralschäden zu haben … das heißt, sie schlagen auch dann zu, wenn die Gefahr von Opfern unter der Zivilbevölkerung größer ist».

Bassim al-Shaker (Irak), Symphony of death 1, 2019.

Obwohl Washington weiß, dass die Israelis den Gazastreifen und jetzt auch den Libanon mit völliger Willkür bombardieren – und selbst nachdem der Internationale Gerichtshof entschieden hat, es sei «plausibel», dass Israel einen Völkermord an den Palästinenser*innen im Gazastreifen begeht – haben die Vereinigten Staaten die Israelis weiterhin mit tödlichen Waffen ausgestattet. Am 10. Oktober 2023 verkündete Biden: «Wir stocken die Militärhilfe auf». Diese hat sich bereits im vergangenen Jahr des Völkermords auf die Rekordsumme von mindestens 17,9 Milliarden Dollar belaufen. Im März 2024 berichtete die Washington Post, dass die USA im Stillen mehr als 100 separate ausländische Militärverkäufe an Israel genehmigt und geliefert haben, die sich auf «Tausende von präzisionsgelenkter Munition, Bomben mit kleinem Durchmesser, Bunkersprenger, Kleinwaffen und andere tödliche Hilfsgüter beliefen». Diese «kleinen» Verkäufe lagen unter der Mindestschwelle des US-Gesetzes, bei der der Präsident den Kongress um Genehmigung bitten muss (die ihm ohnehin nicht verweigert worden wäre). Diese Verkäufe summierten sich auf die Lieferung von mindestens 14.000 MK-84-Bomben mit einem Gewicht von 2.000 Pfund und 6.500 Bomben mit einem Gewicht von 500 Pfund, die Israel sowohl im Gazastreifen als auch im Libanon eingesetzt hat.

Im Gazastreifen haben die Israelis die 2.000-Pfund-Bomben routinemäßig eingesetzt, um Gebiete anzugreifen, die von Zivilist*innen bewohnt werden, die von den israelischen Behörden selbst aufgefordert worden waren, an diesen Orten Zuflucht zu suchen. «In den ersten zwei Wochen des Krieges», so berichtete die New York Times, «waren etwa 90 Prozent der von Israel in Gaza abgeworfenen Munition satellitengesteuerte Bomben von 1.000 oder 2.000 Pfund». Im März 2024 twitterte US-Senator Bernie Sanders: «Die USA können Netanjahu nicht an einem Tag anflehen, mit der Bombardierung von Zivilist*innen aufzuhören, und ihm am nächsten Tag Tausende weiterer 2.000-Pfund-Bomben schicken, die ganze Stadtviertel auslöschen können. Das ist obszön». In einem Bericht von Action on Armed Violence aus dem Jahr 2016 wird diese Art von Massenvernichtungswaffen wie folgt bewertet:

Es handelt sich um extrem leistungsstarke Bomben, die beim Einsatz in bewohnten Gebieten eine große Zerstörungskraft haben. Sie können Gebäude in die Luft jagen und Menschen Hunderte von Metern vom Detonationsort entfernt töten und verletzen. Das Fragmentierungsmuster und die Reichweite einer MK-84-2.000-Pfund-Bombe sind schwer vorherzusagen, aber im Allgemeinen wird festgestellt, dass diese Waffe einen «tödlichen Radius» (d. h. die Entfernung, in der sie wahrscheinlich Menschen in der Nähe tötet) von bis zu 360 m hat. Die Druckwellen einer solchen Waffe können eine große erschütternde Wirkung entfalten; eine 2.000-Pfund-Bombe dürfte bis zu 800m vom Einschlagspunkt entfernt schwere Verletzungen und Schäden verursachen.

Ismail Shammout (Palästina), Guardian of the fire, 1988.

Ich bin mehrmals durch das Beiruter Viertel Haret Hreik in Dahiyeh gelaufen, das bei dem Angriff auf die Hisbollah-Führung von israelischen Bomben getroffen wurde. Es handelt sich um ein sehr dicht besiedeltes Gebiet, in dem zwischen den Hochhäusern nur wenige Meter liegen. Einen solchen Gebäudekomplex mit über achtzig dieser mächtigen Bomben zu treffen, kann man nicht als «präzise» bezeichnen. Israels Bombardierung von Beirut gleicht den massiven Angriffe auf den Gazastreifen und symbolisiert die Geringschätzung des menschlichen Lebens, wie sie sowohl die israelische als auch die US-amerikanische Kriegsführung kennzeichnet. Am 23. September bombardierte Israel den Libanon mit einer Geschwindigkeit von mehr als einem Luftangriff pro Minute. Innerhalb weniger Tage wurden durch Israels «intensive Luftangriffe» über eine Million Menschen vertrieben, ein Fünftel der gesamten libanesischen Bevölkerung.

Die erste Bombe, die jemals aus einem Flugzeug abgeworfen wurde, war eine Haasen-Handgranate (Dänemark), die Leutnant Giulio Cavotti von der italienischen Luftwaffe am 1. November 1911 auf die Stadt Tagiura in der Nähe von Tripolis in Libyen abwarf. Hundert Jahre später bombardierten französische und US-amerikanische Flugzeuge in einer Art groteskem Gedenken Libyen erneut im Rahmen ihres Krieges zum Sturz der Regierung von Muammar Gaddafi. Die Grausamkeit von Bombenangriffen aus der Luft war von Anfang an bekannt, wie Sven Lindqvist in seinem Buch A History of Bombing (2003) dokumentiert. Im März 1924 verfasste der britische Geschwaderführer Arthur «Bomber» Harris einen (später vernichteten) Bericht über seine Bombenangriffe im Irak und die «wahre» Bedeutung von Luftangriffen:

Wo die Araber und Kurden gerade zu begreifen begannen, dass sie, wenn sie ein wenig Lärm ertragen konnten, auch Bomben ertragen konnten … wissen sie jetzt, was echte Bombenangriffe an Verlusten und Schäden bedeuten; sie wissen jetzt, dass innerhalb von fünfundvierzig Minuten ein Ort von der Größe eines Dorfes (siehe beigefügte Fotos von Kushan al-Ajaza) praktisch ausgelöscht und ein Drittel seiner Bewohner getötet oder verletzt werden kann, und zwar durch vier oder fünf Maschinen, die ihnen kein wirkliches Ziel bieten, keine Gelegenheit, sich als Krieger zu rühmen, und keine wirksame Möglichkeit zur Flucht.

Hundert Jahre später beschreiben diese Worte von «Bomber» Harris treffend die skrupellose Vorgehensweise sowohl gegen Palästina als auch dem Libanon gegenüber.

André Masson (Frankreich), There is no finished world, 1942.

Man könnte fragen: Was ist mit den Raketen, die von der Hisbollah und dem Iran auf Israel abgefeuert werden? Sind sie nicht Teil der Brutalität des Krieges? Sicherlich sind sie Teil der Hässlichkeit des Krieges, aber eine einfache Parallele lässt sich nicht ziehen. Irans ballistische Raketen folgten auf Israels Angriff auf eine iranische diplomatische Einrichtung in Syrien (April 2024), die Ermordung des Hamas-Führers Ismail Haniyeh in Teheran nach der Amtseinführung des iranischen Präsidenten Masoud Pezeshkian (Juli 2024), die Ermordung Nasrallahs in Beirut (September 2024) und die Tötung mehrerer iranischer Militärs. Es ist bezeichnend, dass Israel zahlreiche Angriffe auf Zivilist*innen, medizinisches Personal, Journalist*innen und Mitarbeiter*innen von Hilfsorganisationen durchgeführt hat, während die iranischen Raketen ausschließlich auf israelische Militär- und Geheimdiensteinrichtungen und nicht auf zivile Gebiete gerichtet waren. Die Hisbollah hat im September 2024 den israelischen Luftwaffenstützpunkt Ramat David, östlich von Haifa, angegriffen. Weder der Iran noch die Hisbollah haben ihre Munition auf dicht besiedelte Viertel israelischer Städte abgefeuert. Seit dem 8. Oktober 2023 haben die israelischen Luftangriffe auf den Libanon die Angriffe der Hisbollah auf Israel bei weitem übertroffen. Vor der aktuellen Welle von Feindseligkeiten hatte Israel bis zum 10. September 137 libanesische Zivilist*innen getötet und hunderttausende Libanes*innen aus ihren Häusern vertrieben; die Raketen der Hisbollah hatten bis dahin 14 israelische Zivilist*innen getötet und die Evakuierung von 63.000 israelischen Zivilist*innen zur Folge. Es gibt nicht nur einen quantitativen Unterschied in der Anzahl der Angriffe und der Todesopfer, sondern auch einen qualitativen Unterschied in der Anwendung von Gewalt. Gewalt, die weitgehend auf militärische Ziele gerichtet ist, ist unter bestimmten Bedingungen nach dem Völkerrecht zulässig; wahllose Gewalt, wie der Einsatz massiver Bomben gegen zivile Bevölkerung, verstößt gegen das Kriegsrecht.

Etel Adnan (Libanon), Ohne Titel, 2017.

Etel Adnan (1925-2021), eine libanesische Dichterin und Künstlerin, wuchs in Beirut auf, nachdem ihre Eltern aus dem zusammenbrechenden Osmanischen Reich, das zur heutigen Türkei wurde, geflohen waren. Sie grub sich tief in den Boden des Konflikts und des Schmerzes ein, die Zutaten für ihre Poesie. Ihre Stimme hallte vom Balkon ihrer Wohnung in Ashrafieh, dem «kleinen Berg», wider, von wo aus sie die Schiffe im Hafen ein- und auslaufen sehen konnte. Als Etel Adnan starb, schrieb der Schriftsteller Elias Khoury (1948-2024), der selbst kurz vor der erneuten Bombardierung Beiruts starb, er trauere um eine Frau, die nicht sterben werde, aber er fürchte um seine Stadt, die allein leide. Hier einige Auszüge aus dem Gedicht «Beirut, 1982» von Etel, um uns daran zu erinnern, dass wir so wütend sind wie ein Sturm.

Ich habe nie geglaubt
dass Rache
ein Baum sein würde
der in meinem Garten wächst

*

Bäume wachsen in alle Richtungen
So auch die palästinensischen Menschen:

entwurzelt
und im Gegensatz zu Schmetterlingen
flügellos,
erdgebunden,
schwer von Liebe
für ihre Heimat und ihr
Elend,

kein Volk kann für immer hinter
Gitter
oder unter dem Regen sein.

...

Wir werden niemals mit Tränen weinen
sondern mit Blut.

...

Weder auf Friedhöfen werden wir
Getreide pflanzen
noch in meiner Handfläche
Wir sind so wütend wie ein Sturm.

Herzlichst,
Vijay