Palästinenser*innen werden auf palästinensischem Land bleiben

Der dreizehnte Newsletter (2024)

Nabil Anani (Palästina), In Pursuit of Utopia #1, 2020.

Liebe Freund*innen,

Grüße aus dem Büro von Tricontinental: Institute for Social Research.

Am 15. Februar 2024 traf sich Jared Kushner (Donald Trumps Schwiegersohn und ehemaliger Berater während seiner Präsidentschaft) zu einem langen Gespräch mit Professor Tarek Masoud an der Harvard-Universität. Während dieses Gesprächs sprach Kushner über «Gazas Küstengrundstücke», die, wie er sagte, «sehr wertvoll» sein könnten. «Wenn ich Israel wäre», fuhr er fort, «würde ich einfach einen Platz in der Negev[-Wüste] mit Bulldozern plattmachen, ich würde versuchen, Menschen [aus Gaza] dorthin zu bringen…. Der richtig Schritt wäre, einfach hinzugehen und den Job zu Ende zu bringen».

Dass Kushner den Negev, oder al-Naqab auf Arabisch, auswählte, ist interessant. Al-Naqab, das im heutigen Süden Israels liegt, ist seit langem ein Ort der Spannungen und Konflikte. Im September 2011 verabschiedete die israelische Regierung das Gesetz zur Regelung der Beduinenansiedlung im Negev, auch bekannt als Prawer-Begin-Plan, der die Vertreibung von 70.000 palästinensischen Beduin*innen aus ihren 35 «nicht anerkannten» Dörfern vorsah. Kushner rät Israel nun, noch mehr Palästinenser*innen illegal nach al-Naqab umzusiedeln, von denen viele ursprünglich aus Städten in anderen Teilen Palästinas, die jetzt zu Israel gehören, nach Gaza verdrängt wurden. Wie Kushner wissen dürfte, sind sowohl ein Bevölkerungstransfer nach al-Naqab als auch die Beschlagnahmung des Gazastreifens gemäß Artikel 49 der Genfer Konventionen von 1949 illegal.

Abed Abdi (Palästina), Massacre in Lydda, 1980.

Die Vertreibung der palästinensischen Beduin*innen im Jahr 2011 und der Palästinenser*innen im Gazastreifen heute spiegelt die Notlage wider, in der sich Palästinenser*innen seit der Gründung des israelischen Staates im Jahr 1948 befinden. Seit 1976 begehen Palästinenser*innen auf der ganzen Welt jedes Jahr am 30. März den Tag des Bodens. An diesem Tag waren sechs Palästinenser*innen bei einer Massenaktion gegen den Versuch des israelischen Staates, die palästinensische Bevölkerung aus der Region Galiläa zu vertreiben und Yihud Ha-Galil (die Judaisierung Galiläas) durchzuführen, getötet worden. Das israelische Regime versucht seit 1948, ganz Galiläa und al-Naqab zu annektieren, stößt aber auf den erbitterten Widerstand der Palästinenser*innen, einschließlich der palästinensischen Beduin*innen. Die israelische Gewalt hat es nicht geschafft, die Region einzuschüchtern und zu säubern, um ein «Großisrael» (Eretz Yisrael Hashlema) zwischen dem Jordanfluss und dem Mittelmeer zu errichten. Israel hat seine Ziele nicht erreicht. Es kann weder die Palästinenser*innen noch die Beduin*innen ausrotten. Sein Traum von einem rein zionistischen Staat ist aussichtslos.

Samah Shihadi (Palästina), Mansaf, 2018.

Am 9. Dezember 1975 wählte die palästinensische Bevölkerung von Nazareth Tawfiq Zayyad von der Kommunistischen Partei (Rakah) mit 67 % der Stimmen. Zayyad (1929-1994), ein angesehener Dichter, war als «der Vertrauenswürdige» (Abu el-Amin) bekannt, der sich unermüdlich dafür einsetzte, dass die Palästinenser*innen in Galiläa eine gemeinsame Front gegen die israelische Politik der Zwangsräumungen bildeten. Wegen seiner Aktivitäten wurde Zayyad mehrfach verhaftet, aber er ließ sich nicht beirren. Zayyad trat 1948 der Kommunistischen Partei bei, wurde 1952 Vorsitzender des arabischen Gewerkschaftskongresses von Nazareth, führte die Partei in seiner Heimatstadt Nazareth, gewann 1973 einen Sitz in der Knesset (dem israelischen Parlament) und wurde 1976 als Kandidat der Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit Bürgermeister seiner Stadt. Sein Sieg, der das israelische Establishment überraschte, wurde von der palästinensischen Bevölkerung in Galiläa, die seit 1948 gegen die Versuche, ihr Land und ihre Häuser zu stehlen, gekämpft hatten, bejubelt.

1975 kündigten die israelischen Behörden an, dass sie 20.000 Dunum (18 Millionen Quadratmeter) arabisches Land enteignen würden, vor allem in Zentralgaliläa, auch «Area 9» genannt, was die Vernichtung der Dörfer Arraba, Deir Hanna und Sakhnin bedeutete. Diese Pläne waren nicht neu. Seit 1956 gründete Israel Städte, um arabische Dörfer wie al-Bi’neh, Deir al-Asad und Nahef in der Umgebung von Nazareth zu verdrängen: zuerst Natzeret Illit (seit 2019 Nof Hagalil genannt) und dann 1964 Karmiel.

Als ich 2014 Nazareth besuchte, wurde ich zu einem Spaziergang um das Stadtgebiet mitgenommen, um zu erfahren, wie die neuen jüdischen Siedlungen die alte palästinensische Stadt erdrosseln sollen. Haneen Zoabi, damals Mitglied der palästinensischen Partei Knesset for Balad, erzählte mir, wie Nazareth, dort wo sie geboren wurde und gleich dem Westjordanland nach und nach durch illegale Siedlungen, die Apartheidmauer, Kontrollpunkte und regelmäßige Angriffe des israelischen Militärs zerdrückt wurde.

Fatma Shanan (Palästina), Two Girls Holding a Carpet, 2015.

Bevor der Generalstreik am 30. März 1976 beginnen konnte, schickte das israelische Regime ein ganzes Kontingent bewaffneter Militärs und Polizist*innen, die rücksichtslos auf unbewaffnete Palästinenser*innen einschlugen, Hunderte verletzten und sechs töteten. Tawfiq Zayyad, der den Streik anführte, schrieb, dass dies «ein Wendepunkt im Kampf» war, da er «ein Erdbeben auslöste, das den Staat von vorne bis hinten erschütterte». Das israelische Regime habe geplant, «den Arabern eine Lektion zu erteilen», schrieb Zayyad, aber das habe «eine Reaktion ausgelöst, die in ihrer Wirkung weit größer war als der Streik selbst». Dies zeigte sich bei den Beerdigungen der bei dem Streik gefallenen Märtyrer*innen, an denen Zehntausende von Menschen teilnahmen. Dieser Tag wurde zum Tag des Bodens, der heute Teil des Jahreskalenders des Kampfes für die nationale Selbstbestimmung der Palästinenser*innen ist.

Das israelische Regime ließ sich vom öffentlichen Aufschrei nicht beeindrucken. Am 7. September 1976 veröffentlichte die hebräische Zeitung al-Hamishmar ein Memorandum von Yisrael Koenig, der den Norddistrikt, einschließlich Nazareth, verwaltet hatte. Koenigs durch und durch rassistisches Memorandum forderte die Annektierung palästinensischen Landes zugunsten von achtundfünfzig neuen jüdischen Siedlungen und die Verpflichtung der Palästinenser*innen, den ganzen Tag zu arbeiten, damit sie keine Zeit zum Nachdenken haben. Der damalige israelische Premierminister Yitzhak Rabin wies das Memorandum, das auch Pläne für die Judaisierung Galiläas enthielt, nicht zurück. Die Pläne wurden nie aufgegeben.

Im Jahr 2005 beschloss die israelische Regierung, dass der stellvertretende Premierminister Galiläa und al-Naqab verwalten sollte. Schimon Peres, der dieses Amt innehatte, erklärte damals, dass «die Entwicklung des Naqab und Galiläa das wichtigste zionistische Projekt der kommenden Jahre» sei. Die Regierung stellte 450 Millionen Dollar bereit, um diese beiden Regionen in jüdische Mehrheitsgebiete zu verwandeln und die palästinensische Bevölkerung, einschließlich der palästinensischen Beduin*innen, aus ihnen zu vertreiben. Das ist nach wie vor der Plan.

Fatima Abu Roomi (Palästina), Two Donkeys, 2023.

Jared Kushners Aussagen lassen sich leicht als Hirngespinst abtun, da sie ein gewisses Maß an Lächerlichkeit enthalten. Das wäre jedoch ein Fehler: Kushner war der Architekt von Trumps Abraham-Abkommen, das zu einer Normalisierung der israelischen Beziehungen zu Bahrain, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten führte. Er hat auch eine enge Beziehung zu Israels Premierminister Benjamin Netanjahu (der einst in Kushners Kinderzimmer in Livingston, New Jersey, übernachtet hatte).

Al-Naqab ist eine heiße Wüste, ein Ort, der auch nach der Vertreibung der meisten der palästinensischer Beduin*innen nur dünn besiedelt bleibt. Der Gazastreifen bietet jedoch Möglichkeiten als Badeort und als Basis für Israels Ausbeutung der Erdgasreserven im östlichen Mittelmeer. Das erklärt die anhaltende Aufmerksamkeit, die der Region im Rahmen der zionistischen Agenda zuteil wird und in Kushners unverblümter Erklärung zum Ausdruck kommt. Wenn sich Geschichte tatsächlich wiederholt, ist es unwahrscheinlich, dass die Palästinenser*innen von Gaza nach al-Naqab oder gar in die Wüste Sinai ziehen werden. Sie werden kämpfen. Sie werden bleiben.

Tawfiq Zayyad in Jaffa im Jahr 1974, Fotograf unbekannt (Quelle: The Palestinian Museum Digital Archive).

Im September 1965, nachdem er von Moskau nach Palästina zurückgekehrt war, schrieb Tawfiq Zayyad das Gedicht «Here We Will Remain». Es wurde im darauffolgenden Jahr in Haifa bei al-Ittihad Press zusammen mit seinem Klassiker «I Shake Your Hand» veröffentlicht, der von dem ägyptischen Sänger Sheikh Imam vertont und das palästinensische Kinder auf der ganzen Welt auswendig kannten («Meine Hand blutete, und doch gab ich nicht auf»). Die Ereignisse von 1976 stärkten Zayyads Popularität in Nazareth, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1994 Bürgermeister blieb. Tragischerweise kam er bei einem Autounfall ums Leben, als er aus dem Westjordanland zurückkehrte, wohin er gefahren war, um Jassir Arafat nach den Osloer Verträgen in Palästina willkommen zu heißen. Im Gedenken an den Tag des Bodens und an Gaza ist hier Genosse Zayyads «Here We Will Remain»:

In Lidda, in Ramla, in Galiläa,
werden wir bleiben,
Wie eine Mauer auf deiner Brust,
Und in deiner Kehle
Wie eine Glasscherbe,
Ein Kaktusdorn,
Und in deinen Augen
Ein Sandsturm.

Wir werden bleiben,
Eine Mauer auf deiner Brust,
Putzen Geschirr in euren Restaurants,
Servieren Getränke in euren Bars,
fegen die Böden eurer Küchen
Um einen Bissen für unsere Kinder zu ergattern
Aus euren blauen Fangzähnen.

Hier werden wir bleiben,
Singen unsere Lieder.
Gehen auf die wütenden Straßen,
Füllen die Gefängnisse mit Würde.

In Lidda, in Ramla, in Galiläa,
Werden wir bleiben,
Im Schatten der Feigenbäume
Und Olivenbäume,
Den Aufstand in unseren Kindern gären lassen
Wie Hefe im Teig.

Herzlichst,
Vijay